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Kultur: „Abflug“

Sommerferienworkshop im T-Werk

Stand:

Julie ist jung, gutaussehend und kein Mauerblümchen. Herausfordernd betritt sie die Bühne, guckt forsch in die Runde und kündigt an, sich umzubringen. Einfach so. Ohne vorangegangenes Drama oder schweren Unglücksfall oder einen sonstigen ersichtlichen Grund. Sie will sich umbringen, möglichst nicht allein. Dafür chattet sie allabendlich im Internet und sucht Gleichgesinnte. Sie trifft auf „Darkness 666“, die dem wirklichen Tod Partys auf dem Friedhof vorzieht oder „White Spirit“, die von ihrer Großmutter weiß, dass Selbstmord kein Kinderspiel ist. Und sie findet andere, die auch schon mal mit der Idee gespielt haben, den „Abflug“ zu machen, sich aber ansonsten weiterhin ganz tapfer gegen die Zumutungen heutigen postmodernen Lebens wehren.

Sieben Mitspieler im Alter von 13 bis 19 Jahren haben sich in den ersten beiden superheißen Ferienwochen täglich fünf Stunden zum Sommerworkshop im T-Werk getroffen und sich mit einem Thema beschäftigt, das mehr Jugendliche bewegt, als man vielleicht gemeinhin wahrhaben will. Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Selbstmord ist bei deutschen Jugendlichen die dritthäufigste Todesursache, auch wenn die Zahl der Suizid-Toten seit 1975 rückläufig ist. Aber: Durch Selbsttötung sterben fast so viele junge Menschen wie im Straßenverkehr. Das ist eine Zahl, die nicht hinnehmbar ist. Und: Viele der jugendlichen Selbstmörder kündigen ihre Tat mehr oder weniger direkt an oder zeigen im Vorfeld deutliche seelische Veränderungen, wie zum Beispiel Depressionen. Allesamt Zeichen, die Erwachsene ernst nehmen sollten. Auch wenn sie selbst oft einen gehörigen Anteil am Weltschmerz und Kummer der Heranwachsenden haben oder sogar deren Verursacher sind.

In der halbstündigen kurzweiligen Aufführung kamen dann auch einige der möglichen Ursachen zum Vorschein: Eltern, die überhaupt nicht verstehen, wer man selber ist, was man kann und was man will. Die einem keinen Raum für die eigene Metamorphose lassen. Denn nicht sofort und schon im Alter von Fünfzehn ist bereits deutlich zu sehen, ob aus ihr oder ihm, mal ein Sänger oder Sängerin, Schauspieler oder Schauspielerin oder gar Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin wird. Doch noch schlimmer als überzogene Erwartungshaltungen und permanenter Leistungsdruck ist das hier sogenannte „Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“. Eigentlich eine Krankheit, die in den letzten Jahren immer mehr Kinder und Jugendliche befällt und deren Aufmerksamkeit für alles, was Erwachsene für wichtig halten, erheblich einschränkt.

Die Julie im Stück hat, wie sie behauptet, bereits einen Selbstmordversuch hinter sich: Auf dem Geburtstag ihrer Großmutter hat sie so lange die Luft angehalten, bis sie einfach umgefallen ist. Was dann folgte, fühlte sich für sie ziemlich gut an. Sie erlangte die ungeteilte Aufmerksamkeit der sie umgebenden Erwachsenen. Allerdings nur so lange, bis sie wieder „funktionierte“. Unter der Spielleitung von Yasmina Ouakidi entstand die kurze Szenenfolge, die sichtlich einige Erfahrungen der jugendlichen Teilnehmer verarbeitete.

Allerdings wäre es wünschenswert, in einer Workshop-Präsentation noch mehr vom Arbeitsprozess als schon ziemlich perfekt anmutende Ergebnisse und nur wenige wirkliche Spielmomente, wie beispielsweise das erste „Anbandeln“ zwischen Julie und dem „Moviemaniac“, zu sehen.

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