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Kultur: Abgründig

Sebastian Koch las Schnitzlers „Traumnovelle“

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Sollte man seinem Liebsten alles erzählen? Ihm auch die heimlichsten Fantasien und Träume offenbaren? Der Arzt Fridolin und seine Frau Albertine begeben sich auf diesen abenteuerlichen Pfad, bekennen sich zu ihrer gedanklichen Untreue. Und während sie in die Strudel innerer Abgründe versinken, reißen sie auch den anderen mit hinab. Denn für beide ist klar: Ein Traum ist nicht nur ein Traum.

Der Schauspieler Sebastian Koch breitet am Samstag Abend im bis zum letzten Platz gefüllten Nikolaisaal ein feingesponnenes Netz leidenschaftlicher Verstrickungen aus. Er liest in einer klug gekürzten Version Arthur Schnitzlers farbenprächtige „Traumnovelle“ und zieht die Zuschauer mit hinein in das Labyrinth erotisch-sinnlicher Verzückungen und qualvoller Ängste. Den Gefahren entgehen – ist es das, worauf es ankommt?, fragt sich am Ende Fridolin, nachdem er durch so viele Unwägbarkeiten geschritten und schließlich seiner Frau um so näher ist.

Sebastian Koch lässt in einem verinnerlichten und hochkonzentrierten Sprachfluss die Figuren des psychologisch tiefschürfenden Textes blutvoll wachsen. Ja er selbst – lässig und elegant und mit verwegenem Drei-Tage-Bart – scheint mit Fridolin eng vertraut. „Ich staune darüber, wie klug und lebensnah dieses Werk ist, darüber, wie viel Arthur Schnitzler über mich (obwohl das gar nicht sein kann) wusste“, schrieb der Schauspieler ins Programmheft. Und er bekannte zugleich, wie schwierig es sei, beim Lesen die Spannung zu halten: durch die strenge, vorwärtstreibende Textstruktur, die zugleich so verspielt ist.

Doch insgesamt wurde der fast drei stündige Abend in dem gut ausgeleuchteten Saal zu einem fesselnden Erlebnis. Nur am Ende, als Fridolin in der Pathologie die sich für ihn geopferte Traumfrau mit den blutroten Lippen auszumachen glaubt, lässt die Konzentration etwas nach, gehen die Gedanken eigene Wege.

Ansonsten hängt man dem sprachversierten Schauspieler gefesselt an den Lippen, verzeiht ihm auch gern, wenn er sich ab und an mal verhaspelt . Das schmälert keineswegs seinen lebendig gestalteten, akzentuiert Pausen setzenden Vortrag, der keiner ausladenden Verzierungen bedarf. Wunderbar der Dialog zwischen Fridolin und seinem alten polnischen Freund Nachtigall, dem Koch einen weichen Akzent mit jüdisch-breitem Anklang verleiht. Es knistert vor Spannung, als Nachtigall ihm von den geheimen Treffen erzählt, bei denen er mit verbundenen Augen Klavier spielt, doch über die dunkle Binde hinweg die schönsten nackten Frauengestalten erblickt. Fridolin ist wie unter Strom: Nichts kann ihn zurückhalten, sich ebenfalls in diese frivole Geheimbundschaft hineinzustürzen.

Immer wieder wird der Fortgang der literarischen Handlung unterbrochen und musikalisch ergänzt. Denn Sebastian Koch steht das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) unter der Leitung von Jürgen Bruns in ebenso frischer und klangschöner Weise zur Seite. Edward Griegs Intermezzo aus „Borghilds Traum“ fängt die traumhafte Stimmung zwischen sanftem Verharren und explosiver Dramatik facettenreich ein und legt den Teppich aus für das weitere Geschehen. Auch Leos Janáceks „Eifersucht“ passt bestens zu den nächtlichen Eskapaden. Schwieriger erweisen sich die pompös-ausgestellten Piecen, wie Aram Chatschaturjans „Walzer“, der mit seinem opulenten Finale den geheimnisumwobenen Charme der Novelle fast zerschmettert. Auch Richard Wagners schicksalsschwerer „Liebestod“ ist eine Nummer zu gewaltig für die nebulösen Schwingungen der Traumwelt. Diese romantisierende Musik erhellt zu wenig den zwiespältigen Geist der Novelle, die in der Tiefenpsychologie wurzelt.

Am Ende spürt man, dass auch Sebastian Koch ermattet ist von den vielen bizarren Situationen, die er mit seinen Helden zwischen Traum und Wirklichkeit angespannt durchlitt und durchlebte. Ein intensiver, herzlich aufgenommener Abend, bei dem der Satz von Albertine leise nachhallt: „Niemals in die Zukunft fragen.“

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