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Kultur: Abschied, Meer und warmes Brot Gianmaria Testa singt Freitag im Nikolaisaal

Anfang der 90er Jahre gewann der Norditaliener Gianmaria Testa gleich zweimal hintereinander den ersten Preis des italienischen Liederfestivals Recanati. Kenner der Branche sahen ihn schon im Rampenlicht, witterten ein Geschäft und schmiedeten Zukunftspläne: Das viel versprechende Talent sollte seinen Kompositionen prägnantere Rhythmen verleihen, wohl als vermeintliche Garantie für Eingängigkeit.

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Anfang der 90er Jahre gewann der Norditaliener Gianmaria Testa gleich zweimal hintereinander den ersten Preis des italienischen Liederfestivals Recanati. Kenner der Branche sahen ihn schon im Rampenlicht, witterten ein Geschäft und schmiedeten Zukunftspläne: Das viel versprechende Talent sollte seinen Kompositionen prägnantere Rhythmen verleihen, wohl als vermeintliche Garantie für Eingängigkeit. Ein fernsehtaugliches Outfit müsste unbedingt her. Und natürlich auch ein entsprechendes Image. Am besten das eines Melancholikers. Passend zu seinen Liedern. Der bodenständige Liederdichter mit dem Schnauzbart, den vielen Locken und der runden Brille winkte ab und kehrte ins piemontesische Städtchen Cuneo zu seiner Arbeit als Bahnhofsvorsteher zurück.

Ein Jahr später lernte Testa die französische Produzentin Nicole Courtois Higelin kennen und gab ihr ein Demoband mit, auf dem er seine Lieder zur Gitarre sang. Die Französin war begeistert. Die rauchig-warme Stimme, Poesie und Melodik der Lieder gefielen ihr, und so produzierte sie die erste CD von Gianmaria Testa („Montgolfières“), die 1995 nicht in seinem Heimatland, sondern in Frankreich erschien. Damals war der Bahnhofsvorsteher 36 Jahre alt und Musik war für ihn ein Hobby, das er mit Leidenschaft betrieb. Der Gedanke an kommerziellen Erfolg als Musiker lag ihm fern.

Inzwischen gilt Gianmaria Testa als einer der bedeutendsten italienischen Liederpoeten, der so genannten cantautori, die ihre Texte selbst schreiben, vertonen und vortragen. Ganz ohne Imagewandel und ohne Rücksicht auf die Spielregeln des Marktes ist es ihm gelungen, vom Geheimtipp zum bekannten Künstler zu avancieren, der etwa zweihundert, nicht selten ausverkaufte Konzerte – wie in Ptsdam auch - im Jahr gibt. Inzwischen hat der Musiker schon sechs CDs herausgebracht und stand in über 30 Ländern auf der Bühne. Er führe das Leben eines „privilegierten Migranten“, sagt er mit ernster Miene im Interview. „Ich habe nie von einem solchen Leben geträumt. Da bin ich rein zufällig hineingeraten. Aber nun macht es mir Spaß, mit so vielen Leuten zusammen zu treffen.“ Testa sieht sich nicht als politischen Künstler, ja nicht einmal als Künstler würde er sich selbst bezeichnen: „Ich mache keine Kunst. Ich benutzte nur eine Kommunikationsform alternativ zum Wort. Und Politik ist es auch nicht. Politik ist eine viel ernsthaftere Sache. Politik macht man nicht mit einem Lied, Politik macht man mit Militanz, indem man Ja!“ oder Nein!“ sagt oder indem man an einer Demonstration teilnimmt. Aber nicht, indem man singt.“

Allerdings widmet sich der 49-jährige Piemontese mitunter auch politisch brisanten Themen. Die Lieder, die er auf seiner CD „Da questa parte del mare“ singt, handeln von Migration, von jenen verzweifelten Menschen, die von Afrikas Küsten aufbrechen und auf überladenen Schiffen die gefährliche Überfahrt wagen, voller Hoffnung auf ein besseres Leben jenseits des Meeres. „Ich habe dieses Thema gewählt, weil Italien lange Zeit ein Auswandererland gewesen ist, und jetzt ist es ein Einwandererland. Wir haben inzwischen vergessen, wie schlecht wir als Auswanderer manchmal empfangen wurden. Sie haben uns wie Faulpelze und Mafiosi behandelt. Leider machen wir es jetzt mit den Einwanderern, die zu uns kommen, genau so. Das, was mich am meisten beunruhigt, ist der Rassismus der so genannten anständigen Leute.“ Schon mit dem CD-Titel „Auf dieser Seite des Meeres“ will Testa von vornherein deutlich machen, dass es sich um seine persönliche Sichtweise, „also die eines Privilegierten, der auf der privilegierten Seite des Meeres lebt“, handelt. Er nähert sich diesem heiklen Thema behutsam, nicht als politischer Verstandesmensch, sondern als sensibler Poet, als einer, dessen Familie in der Vergangenheit ebenfalls von Migration betroffen war. Er singt über Weggehen und Ankommen, über Erinnerungen und Sehnsüchte, über das unergründliche Meer und über warmes Brot. Dieser Mikrokosmos von Gefühlen und Befindlichkeiten, den er zeitlupenartig heraufbeschwört, ist den Eskimos genau so vertraut wie den Südafrikanern. „Wir leben in einer Welt, in der zuallererst die Unterschiede hervorgehoben werden. Aber im Vergleich zu den Gemeinsamkeiten gibt es sehr wenig Unterschiede. Also habe ich versucht, von den Menschen zu reden, von dem, was uns verbindet.“

Die Lieder dieses Konzept-Albums stellt Testa (im Duo mit dem genialen Klarinettisten und Saxophonisten Piero Ponzo) in seinem Programm vor, mit dem er am Freitag nun auch im Nikolaisaal zu Gast ist. Dabei geht es nicht immer ernst zu, und der cantautore erhebt weder den Zeigefinger, noch erzeugt er unbehaglichen Pessimismus.Imke Griebsch

Imke Griebsch

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