Kultur: Abschied vom Innenhof
Gut besuchte Büchernacht in der Bibliothek
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Es war ein liebevoller Abschied, den die Stadt- und Landesbibliothek dem wahrlich unschönen Innenhof am Samstag bereitete. Über die mausgrauen Fassaden mit den schmutzigen Rändern legte der Verein „trollwerk“ ein lilafarbiges Licht, das Wetter spielte mit und während des gesamten Abends war viel Publikum da und füllte den Hof. Es hörte den Lesungen und der Musik zu, aß Leber- oder Fleischkäse und trank Bier oder Wein. Im Inneren hingen Plakate, die zeigten, wie der Hof mit einem Glasdach verschönert werden soll und eine moderne Lese- und Bildungsatmosphäre erwarten lässt. Lässig war das Sommerfest, das mit Jenny Erpenbeck, Michael Kumpfmüller und Clemens Meyer renommierte Schriftsteller aufbot.
Der 1961 geborene Autor Michael Kumpfmüller thematisiert in seinem Roman „Nachricht an alle“ nichts weniger als den Zustand der Gesellschaft. In dieser kommt ein Innenminister vor, eine Journalistin, und ganz viele Chöre nach dem Vorbild des griechischen Dramas. Allerdings heißen die Chöre bei Kumpfmüller anders. Da gibt es den Chor der Talkshowmoderatorinnen, die „mit Körpern arbeiten“, es gibt den Chor der Bürokraten, den der Hausfrauen und den Chor der Kritiker. Kumpfmüller sagte, dass er Achtung vor der Arbeit der Politiker habe, die, ungeachtet ihres schlechten Rufs, eine wichtige gesellschaftliche Arbeit verrichteten. Diese habe sich zunehmend medialisiert, weshalb sie zum Beispiel im Sommer das Spiel der Koalitionskrise spielen, um Medien und Volk zu beschäftigen. An sich aber funktioniere die Koalition gut. Im Romangeschehen läuft aber nicht alles gut, da gibt es Aufstände im Land und drei Studenten, die wie die Duck-Drillinge Tick, Trick und Track heißen. Sie verehren die Schauspielstudentin Tarza, der das Leben ein bisschen zu langweilig ist und die deshalb eine Selbstverbrennung vorschlägt. Dass sie sich bei dem Happening tatsächlich umbringen möchte, verrät sie den dreien nicht.
Dann war es dunkel und man wartete auf Clemens Meyer, der im Frühjahr den Leipziger Buchpreis erhielt und sich so laut darüber gefreut hat, dass manche Talkshow-Wände wackelten. Auch in Potsdam zeigte er sich von seiner direkten Seite und sagte Moderator Jörg Magenau auf den Kopf zu, dass er falsch informiert sei: Sein Hund hieße schließlich Piet und nicht Daisy und das Buch, wofür er den Preis bekommen habe, hieße „Die Nacht, die Lichter“ und nicht „Die Stadt, die Lichter“. Und da Magenau die Pointe verraten habe, lese er eben nicht die Geschichte, in der die Frau den Mann erwürgt, sondern eine andere. „Sind ja schließlich fünfzehn Stories“, milderte er ab. So hatte das Publikum einiges zu lachen, aber während er die Geschichte las, konnte man sich an dem unsentimentalen Ton erfreuen, der dennoch viel Gefühl und Achtung vor den Protagonisten offenbart. Der arbeitslose Hundebesitzer, der für eine OP seines Hundes Piet seine letzten 330 Euro beim Pferderennen verspielt, hatte die Sympathien auf seiner Seite.
Jenny Erpenbeck thematisiert in ihrem Roman „Heimsuchung“ die Verbindung zwischen Individuum und Geschichte, indem sie hundert Jahre eines Hauses am Scharmützelsee erzählt.
Die Eröffnung der Ausstellung von Rainer Ehrt mit einem Text aus der spitzen Feder von Martin Ahrends, der von Werner Kretschmer verlesen wurde, bildete eine Zäsur zwischen den Lesungen. Die Ausstellung „Zwischen Speckgürtel und Hauptstadtwahn“ präsentiert Ehrts humoristisch-karikaturalen Beitrag zum Kulturland-Brandenburg-Themenjahr „Provinz und Metropole“. Dabei überrascht der 1960 geborene Künstler mit Ölmalerei.
In seinem „Berlin-Brandenburg-Triptychon“ hangelt sich ein Minister im schwarzen Anzug an der Stange der Peep-Show erbärmlich ab, während die Nackte neben ihm locker ihre Runden dreht. Eine Angela Merkel mit kurzem Goldröckchen schwingt ein Ehrenkreuz-Zepter und daneben schlingert ein Schwein mit einer Krone auf dem Kopf durch das Chaos. Der lichte Blick des Karikaturisten hat sich hier in Öl neu gefunden, man kann gespannt sein, was dem Preisträger des Grand Prix beim World Press Cartoon 2008 noch so alles einfallen wird.
Lore Bardens
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