Kultur: Abschiedstöne in mildem Abendlicht
Bewegendes Mahler-Konzert mit dem Neuen Kammerorchester Potsdam
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Der Tod spielt in der Musik eine große Rolle. Unzählige Requiem-Vertonungen und Totenklagen bezeugen das, von den Toten auf der Opernbühne ganz zu schweigen. Doch selten geht es dabei um den Tod eines Kindes. Zwischen 1901 und 1904 komponierte Gustav Mahler die Kindertotenlieder nach Gedichten von Friedrich Rückert, in der er den Tod zwei seiner Kinder beklagt. Die Vertonungen sind relativ zurückhaltend, wirken schicksalsergeben, denn Leben und Tod sind für den Komponisten Stationen ewiger Erneuerung.
Gustav Mahlers Kindertotenlieder standen am Anfang des zweiten Konzerts der diesjährigen „Vocalise“ in der Erlöserkirche. Das Neue Kammerorchester Potsdam unter dem Dirigat von Ud Joffe nahm sich des Werkes an, nach der Pause dann dem „Lied von der Erde“, ebenfalls von Mahler, dessen 100. Todestag die Musikwelt in diesem Jahr gedenkt. Soviel Mahler in einem Konzert war in Potsdam lange nicht zu hören. Das 1907 geschriebene „Lied von der Erde“, eine Nachdichtung altchinesischer Lyrik von Hans Bethge, bildet die Grundlage dieser Orchesterlieder. Todesahnung durchzieht das Werk, zugleich aber auch Lebenslust und sogar das gierige Verlangen danach. Beide, „Kindertotenlieder“ und „Lied von der Erde“, werden von Solostimmen getragen. Für die Aufführung in der Erlöserkirche entschied man sich für die fantasievolle und auf Transparenz bedachte Kammerorchesterfassung, von Rainer Riehn. Dennoch: die Vielfalt der Tonfälle, Naturlaute und verborgenen Ambivalenzen kann nur angerissen werden.
In einem ausgewogenen Verhältnis ins Orchester eingebettet, stets präzise auf dieses abgestimmt singt die mit einer schlanken Stimme ausgestattete Berliner Mezzosopranistin Regina Jakobi – sie ist seit Jahren gern gehörter Gast der „Vocalise“ –, liedhaft und ungekünstelt die „Kindertotenlieder“. Ihre Stärken liegen in der schlichten Gestaltung, die auf eine dramatische Zeichnung weitgehend verzichtet, manchmal aber vielleicht etwas zu kühl. Auch eine gewisse Monotonie will sich einstellen. Das Orchesterbild ist da schon farbiger und spannender gestaltet. Obwohl man einen romantischeren, homogeneren Klang im Ohr hat, überzeugt Joffe mit seiner Interpretation, die vor allem den schlichten Ton der Kindertotenlieder gut trifft. Rührseligkeit und Plumpheit haben da keinen Platz.
Sinnlich schwingend kommt dann „Das Lied von der Erde“ daher. Für Mahlers Melodik der Seelenstimmung kann der Dirigent mit vielen unterschiedlichen Nuancen aufwarten, auch mit einem überzeugenden pointierten Zugriff, die das Neue Kammerorchester immer wieder trefflich meistert. In den Gesangspartien sind Regina Jakobi sowie der für Corby Welch kurzfristig eingesprungene Tenor Carsten Süß zu hören. Das wilde Aufbrausen, die leidenschaftlichen Schilderungen von Naturstimmungen als Abbilder seelischer Empfindungen ebenso die zerbrechlich zarten Passagen des Abschieds und der Einsamkeit bekommen ein jeweils angemessenes Maß. Süß gelingt mit seiner klaren und sicher geführten Stimme jeweils höchst individuelle Interpretationen. Regina Jakobi weiß vor allem das letzte Lied „Der Abschied“ mit seinem magischen Schluss mit bewegender Intensität zu singen. Die verlöschenden Abschiedstöne leuchten in mildem Abendlicht.
Es gab großen Beifall für einen sensiblen und spannenden Konzertabend in der Erlöserkirche. Klaus Büstrin
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