Von Heidi Jäger: Absurdistan
„Maria am Wasser“ erzählt metaphernreich über ein untergegangenes System
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Zwischen dem Wellenschlag der „Ernst Thälmann“ und dem der „Weltfrieden“ liegen 20 Jahre. Jahre der Versteinerung. Als die Freunde an Bord der „Thälmann“ auf Marias Geburtstag anstoßen, scheint die Welt noch in Ordnung. Doch dann kommt das große Unglück und die lebenslustige Maria panzert sich ein. Es war auch ein Panzer, mit dem ihre Unbeschwertheit versank. Vier Kinder aus dem von ihr geleiteten Kinderheim saßen darauf und ertranken in der Tiefe. Das Dorf vertuschte das Unglück, begrub klammheimlich die angespülten Waisen am Wiesenrand.
Regisseur Thomas Wendrich stützte sich in „Maria am Wasser“ auf eine wahre Begebenheit, wie er am Donnerstag beim durchaus munteren Filmgespräch im fast leeren Thalia-Saal erzählte – „Der Vorleser“ nebenan lief ihm und seinen beiden Schauspielern Marie Gruber und Alexander Beyer etwas den Rang ab. Wendrich, der an der Filmhochschule Babelsberg Schauspiel studierte, wollte in seinem Regiedebüt den Untergang eines ganzen Systems zeigen. „Und da war ein Panzer gerade groß genug.“
Die Geschichte, auf die er zurück griff, ereignete sich 1961 in dem brandenburgischen Dorf Riewend. Ein Panzerfahrer der NVA ließ Kinder aus dem Betriebsferienlager des Deutschen Fernsehfunks aufsitzen. Erst ein paar, dann im Gaudi immer mehr. Schließlich waren es 37 Kinder und zwei Erzieher, die fröhlich auf der Kampfmaschine saßen. Doch sie war überladen und sieben Kinder fanden den Tod: „eine Tragik im Glücksgefühl. Dieses in der DDR verschwiegene Unglück wuchs sich im Ort zum Mythos aus.“
Thomas Wendrich verlegte das Unglück in seine sächsiche Heimat, an die Elbe, wo der Fährmann als Symbol des Todes von einem Ufer zum anderen treibt. Überhaupt ist sein Debütfilm ein endloses Spiel mit Metaphern und Andeutungen, oft auch mit gestelzten Dialogen. Er zeichnet ein Land „Absurdistan“, das den Zuschauer mitunter allein lässt. Auch die Zeit, in der der Film spielt, bleibt im Ungefähren (siehe PNN-Kritik, 26.2.).
Er habe Menschen zeigen wollen mit wertlos gewordenen Biografien, aber auch Hoffnungsbringer, sagt der Regisseur. Diesen Part übernahm Alexander Beyer, bekannt aus „Sonnenallee“. Er spielt den Sohn Marias, von dem alle glaubten, dass er auf dem Panzer mit ums Leben kam. Doch jetzt, 20 Jahre später, taucht er wieder auf: Als Kantor, der die nach dem Unglück abmontierte Orgel, die Seele des Ortes, wieder zum Klingen bringt. „Mein Großvater ist Geigenbauer und meine Familie wurde aus ihrer Heimat vertrieben. Es schien, als habe der Film nach mir gesucht“, so der aus Thüringen stammende Schauspieler, den mit dem Regisseur das gleiche atmosphärische Verständnis verbinde. Auch Marie Gruber zeigte sich angetan von der Zusammenarbeit mit dem jungen Regisseur, der für „Freischwimmer“ einen Drehbuchpreis erhielt. Für sie sei trotz der Verknappung der Dialoge alles gesagt. Um mit „dieser lebensklugen Frau“, die neben „Go Trabi go“ auch viele Charakterrollen spielte, drehen zu können, hatte Wendrich die Dreharbeiten vom Sommer auf den Herbst verschoben. „Wir hatten dennoch das Glück der Tüchtigen und bis zum letzten Tag schönes Wetter.“ Sie drehten am wärmsten Ort Deutschlands, in Diesbart–Seusslitz. Und auch im erzgebirgischen Frauenstein, wo sie ihre Komparsen rekrutierten: alles alte Leute, „denn es geht um ein aussterbendes Land, wo sich die Jugend aus dem Staub macht.“
Der Regisseur weiß, dass er dem Zuschauer viel zumute und dass sein Film Kontroversen auslöse. „Aber ich kann sie nicht mehr sehen, diese zurecht gebogenen Charaktere in so vielen Filmen zur DDR-Geschichte.“ Er wolle den Figuren ihre Geheimnisse belassen.
Sein nächster Film werde indes realistischer. Hoffentlich auch stringenter. Auf jeden Fall wieder tragisch. Und er wird erneut in seiner Heimat spielen, wo jetzt in „Maria am Wasser“ der „Weltfrieden“ zukunftsweisend auf der Elbe schippert.
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