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Kultur: Achterbahnen der Koloraturen

Der Countertenor Bejun Mehta im Nikolaisaal Potsdam.

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Vor einigen Jahren gehörten die Countertenöre noch zu den exotischen Künstlern. Inzwischen sind sie zu echten Stars im Klassik-Betrieb geworden. Einer davon ist der Amerikaner Bejun Mehta, der am Samstag in der Reihe „Stars international“ gemeinsam mit der Akademie für Alte Musik Berlin im Nikolaisaal gastierte. Bejun Mehtas Countertenor verfügt über eine individuelle Färbung. Seine Stimme klingt männlich, ein wenig metallisch und kraftvoll, vor allem in der Mittellage. Doch auch die hohen Sopranlagen werden von ihm mühelos erklommen. Obwohl Mehtas Repertoire eine außergewöhnliche Spannbreite umfasst, liegt sein Schwerpunkt im Barock und deren vielseitigen Opern.

Im Nikolaisaal widmete sich der Sänger im ersten Teil dem Frühwerk Mozarts und nach der Pause Gluck sowie Johann Christian Bach, der als „Londoner Bach“ in die Musikgeschichte einging. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlebte der Kastratengesang seinen letzten Höhepunkt. Danach war er fast vollständig von den Opernbühnen verschwunden. Heute erreichen Countertenöre durch ein intensives Training des Gesangsapparats ähnlich hohe Töne wie die damaligen Kastraten – selbstverständlich ohne Kastration.

Im Teenageralter schrieb Mozart die Opera seria „Mitridate, re di Ponto“, ein Jahr später die Serenata „Ascanio in Alba“. Da war er schon nicht mehr unerfahren im Komponieren von Opern. Beim Hören der Werke spürt man, wie der Jugendliche musikalisch herangereift ist. Die Seelentiefe, die er mit fünfzehn Jahren erreichte, ist bemerkenswert. Man begriff in der Interpretation Mehtas, dass Mozart nicht nur technisch Mögliches für den Sänger bereithielt, sondern sogar das den Menschen emotional Mögliche bereits kannte und in die Musik einbrachte.

Virtuose Koloraturjagden wechseln mit sanfter poetischer Melodik. Der Opernreformator Christoph Willibald Gluck hat ebenfalls noch für Kastraten geschrieben, auch Johann Christian Bach, der jüngste Sohn des Leipziger Thomaskantors. Auch sie hielten für ihre Interpreten Koloraturen-Achterbahnen bereit, die es an Schwierigkeiten nur so in sich haben. Bejun Mehta verblüffte auch bei den Ausschnitten aus Glucks Oper „Ezio“ und aus Bachs „Artaserse“ mit seiner Koloratursicherheit, aber auch mit seiner Fähigkeit der stimmlichen Vermittlung von Emotionen. Sein Formgefühl für die Arien, seine Verzierungskünste und sein stilistisches Empfinden, das lange Linien formt und nicht durch Registerbrüche gestört wird, sind großartig. Im Nikolaisaal wurden seine Ambitionen zum Dirigieren offenbar. Er trieb immer wieder die Akademie für Alte Musik und ihren Konzertmeister Bernhard Forck, der die Leitung des Konzertes innehatte, zu noch schnelleren Tempi, zu stärkeren dialogischen Akzenten an und verzichtete auch nicht auf das Geben von Einsätzen, vor allem wenn sich Mehta in Rage sang. Was allerdings etwas übertrieben wirkte.

Die Akademie für Alte Musik konnte seine Qualitäten nicht nur bei der Begleitung des Countertenors kundtun, sondern auch in der opernhaft auftrumpfenden Sinfonie Es-Dur KV 184 von Mozart oder in Johann Christian Bachs Sinfonie D-Dur Op. 16/4. Kräftig, manchmal etwas ruppig musizierte das Berliner Orchester, aber es wusste immer mit seiner Gestaltungskraft zu überzeugen. Für Bejun Mehta und für die Akademie gab es herzliche Ovationen. Klaus Büstrin

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