Kultur: Adel verpflichtet
Gräfin von Schwerins Buch über ihre Familie
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Als die siegreichen Truppen der „Belle Alliance“ 1815 Napoleon bei Waterloo geschlagen hatten, schrie das Volk von Berlin begeistert „Heil dem König!“ Dreiunddreißig Jahre später sah das anders aus: Steinwürfe, Schüsse, Barrikaden, Kanonen – „alles wie in allen Revolutionen“, schrieb Sophie Gräfin von Schwerin (1785-1863) am 18. März 1848 in ihr Tagebuch. Vier Tage danach nötigte man den König zu der bekannten „Hut ab!“ – Geste, die schwarz-rot-goldenen Fahnen der Demokraten wehten von den Dächern. Sophie, eine geborene Gräfin von Dönhoff, war da schon jenseits der Sechzig, eine kinderlose Witwe seit ihrem 28. Jahr, 1815 hatte sie (wie ihre Schwester Rosalie auch) einen Onkel, Wilhelm Graf von Schwerin, geheiratet.
„Das war damals so“, meinte Kerrin Gräfin von Schwerin bei ihrer sehr gut besuchten Buchpräsentation jüngst im Kutschstall lakonisch. Ihre neueste Arbeit, „Wilhelmstraße 63“, bettet den Lebensweg Sophies sowohl in die Geschicke der Großfamilien von Dönhoff und Schwerin als auch in die damalige Zeitgeschichte Preußens ein – irgendwie ist es ja auch ein Stücklein von ihr, zugleich ein Beitrag zum Kulturland-Thema „Provinz und Metropole“.
Die Berliner Adresse, das Palais Dönhoff, bezeichnet den Lebensmittelpunkt dieser so schönen wie ungewöhnlichen Frau, ein Prachtbau im Zentrum des Zentrums, ringsum wohnte viel Prominenz aus Diplomatie und Kunst. Die Stadt „war noch im Aufbau“, schreibt die Historikerin – aber noch immer von einer vier Meter hohen „Akzise-Mauer“ umgeben. Die Dönhoffs wie die Schwerins verband nicht nur eine mehr als labyrinthische Genealogie und Großgrundbesitz, sie gehörten auch zu den tragenden Säulen von Staat und Gesellschaft mit direktem Zugang zum Thron. Erst recht, als es darum ging, die napoleonische Fremdherrschaft zu beenden: Wilhelm Graf Schwerin hieß jener „Friedensbote“, der Ostern 1814 die Siegesnachricht von Paris nach Berlin bringt. Ein gutes Jahr später gibt ihm eine französische „Haubitzgranate“ bei Waterloo den Tod. Weil innerhalb weniger Jahre die ganze männliche Erbfolge stirbt – ihr geliebter Bruder Stanislaus überlebt als Student ein Duell in Göttingen 1816 nicht – bleiben letztlich nur Frauen in der „Ministerstraße“ zurück, ein „Amazonenstaat“, wie die auch publizistisch tätige Sophie ihre Haushaltung nennt. Sie engagiert sich für gute Zwecke, sammelt Spenden für Wöchnerinnen, teilt Essen an Arme ihres Stadtbezirkes aus. Obwohl sie die Wilhelmstraße 63 nur selten verlässt, wird „die ewige Witwe“ so bald zu einer öffentlichen Person, man nennt sie „würdigste Frau Berlins, edelste Repräsentantin der alten Aristokratie, Mutter der Armen“. Nicht umsonst blieb ihre Adresse in den 48er Wirren verschont: „Nicht dieses Haus, da wohnt die Dame, die den Armen so viel Gutes tut“.
Adel verpflichtet eben, auch wenn sie beim Ordnen der nachgelassenen Papiere (männliche Linie) mit Caroline auf ein „Kind der Liebe“ stieß – ein Seitensprung ihres Bruders Stanislaus – was die Familie peinlichst berührte. Sonst hielt auch Sophie in der Wilhelmstraße einen der vielen „Salons“, denn „Caritas und gepflegte Geselligkeit“ waren den Damen von Adel aufgetragen, bevor man dieses Privileg bürgerlich-liberal unterlief. Die Autorin gibt diese preußische Familiengeschichte mal warmherzig, mal distanziert, nicht selten fehlt ein „von“ im historischen Kontext, das Präsens regiert. Es las die Berliner Schauspielerin Gitta Schweighöfer, die Gräfin signierte mit „Kerrin Schwerin“. Gerold Paul
Kerrin Gräfin von Schwerin, „Wilhelmstraße 63, Schicksalsjahre einer preußischen Familie“, Verlag für Berlin-Brandenburg
Gerold Paul
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