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Kleine Brüche. Die Blumenporträts von Kerstin Heymann ziehen hinein – und irritieren.

© Andreas Klaer

Kultur: Ahnung statt Gewissheit

Die Malerin Kerstin Heymann zeigt sich in der Galerie Sperl „Unverblümt“

Stand:

Blumenbilder bei Sperls? Die Einladungskarte zur neuen Ausstellung irritiert. Beim zweiten Hinschauen bekommt man eine Ahnung und beim Betreten der Galerie ist man sich gewiss: Diese Blumen sind mehr als das liebreizend-naturalistische Abbild der blühenden Flora. Sie beglücken zwar auch das Auge, verströmen einen angenehmen „Duft“ von Vitalität, Verspieltheit und ausgeprägten Formenwillen. Aber es ist zugleich etwas Irritierendes in diesen vielschichtigen „Wildwüchsen“, die aus der akribisch eingefangenen Blütenpracht von Kerstin Heymann herausbrechen. Man sieht Fehlstellen und versucht sie mit Fantasie aufzufüllen. Kleine Brüche, keine drastischen Störungen. Aber doch wichtig, um Bilder in vibrierende Spannung zu versetzen, die sich nicht nach dem ersten Betrachten abnutzt und verflüchtigt.

Ob Rose, Wolfsmilch oder Geranie: Sie geben viel von sich preis. Aber noch mehr von der Künstlerin, die die Natur auf die Leinwand oder auf bunt bedruckte afrikanische Baumwollstoffe bringt, die sie zuvor mit einer matten weißen Lasur überzog. So bettet der durchscheinende Malgrund die Blumenporträts in eine „Landschaft“ ein, die ihnen ein neues Zuhause gibt. Kerstin Heymann „verpflanzt“ die Geschöpfe, ihre Mitbringsel von den vielen Reisen. Selbst eine auf Schritt und Tritt staunende „Wunderblume“ stolpert die blondbezopfte 43-jährige Malerin auf immer neue blühende Offenbarungen, die ihr aus dem heimischen Balkonkasten genauso entgegenwachsen wie im Urwald Südamerikas. Doch sie verfremdet ihre Fundstücke, baut in ihren Bildern auf Ahnung statt auf Gewissheit.

Der Blick für die Gaben der Natur blieb ihr aus Kindheitstagen erhalten. Aufgewachsen im holsteinischen Eutin zog sie als kleines Mädchen durch Wald und Wiesen, baute Höhlen, versteckte sich im dichten Laub der Bäume. Die Eltern ließen das Mädchen ziehen, akzeptierten den Freiheitsdrang der Tochter. Und schenkten ihr das heiß begehrte Pony dazu. Ihren Abenteuerspielplatz Natur bannte Kerstin Heymann bereits mit 12 Jahren auf Leinwand und studierte folgerichtig Kunst. Anfangs in Kiel, versehentlich auf Lehramt, was sie aber nach ihrem ersten Praktikum an einer Schule rigoros korrigierte. Malerei sollte es sein und nichts anderes. Und daran hielt sie fest. Kiel wurde ihr bald zu eng und so studierte sie an der Glasgow School of Art weiter, die ihr ausreichenden Freiraum gab, den eigenen Weg zu finden. Und der führt sie immer wieder auch weg von ihrer neuen Heimat Berlin. Mit Mann und der inzwischen elfjährigen Tochter Adele bereist sie die Welt – mit Auszeiten zum Malen für sich allein. Stipendien brachten sie ins niederländische Arnheim, nach Costa Rica oder nach Virginia in den USA. Oft fotografiert sie Pflanzen oder holt sie sich in die Vase. „Doch bevor ich fertig bin mit dem Porträtieren, sind sie schon verwelkt.“ Die schlanke Frau mit den hell strahlenden blauen Augen nimmt es genau, setzt ihre Modelle präzise ins Bild: die bizarren und stachligen, eleganten und stolzen, weichen und samtigen Schöpfungen, über deren Vielfalt man beim Nahherangehen nur staunen kann. Sie haben alle ihren ganz eigenen starken Charakter und sind doch wie alle Lebewesen leicht verwundbar. Schnell ist ihr Leben vorbei, löst sich die prallgefüllte rote Rosenblüte in „Nichts“ auf.

Kerstin Heymann interessiert nicht die große weite Landschaft. Sie sucht immer den Ausschnitt, das kleine Versteck, vielleicht eine Hecke, eine Höhle, in die man sich reinbegeben und verkriechen kann. So wie in Kindertagen.

Ihr 2007 gemaltes Bild „im verlaufe“ zeigt aber auch Flächen, die gegeneinanderdrücken. Die Blüten darauf scheinen wie zarte Vermittler zwischen den schroffen Wänden. Manche Bilder erinnern an gewebte Tapeten in alten Schlössern, die ihre Farbigkeit verlieren und von Patina überzogen sind. Aber daneben sprudelt sogleich ein Kraftquell: die Natur, die sich neue Wege sucht, auch wenn man sie oft schonungslos entwurzelt. So wie in alten verwaisten Industrieanlagen, wo sich nach Jahren der Dürre wieder zarte Pflänzchen über verrostete Teile winden.

Jeden Morgen geht Kerstin Heymanns erster Gang auf den Balkon, schaut die lebenshungrige vitale Frau nach neuen Blühwundern und möglichen Motiven. Doch ihr dürstet nach mehr. Und so soll es nun bald auch einen Kleingarten geben, den die Familie bestellt und dessen Ernte die beseelte Malerin auch auf ihren Bildern einfahren wird. „Unverblümt“, präzise und frei. Heidi Jäger

„Unverblümt“ in der Sperl Galerie am Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11, Mittwoch bis Sonntag 12 bis 18 Uhr

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