ZUR PERSON: „Alkohol geht natürlich immer“
Er leidet an seinen Mitmenschen: Ein Gespräch mit Dietmar Wischmeyer, der in Potsdam liest
Stand:
Herr Wischmeyer, Finanzkrise, Milliardenbürgschaften für Banken und den Opel-Konzern, zahlreiche Großbetriebe müssen die Produktion runterfahren und 2009 soll das Jahr der Rezession werden. Vergeht Ihnen bei all diesen aktuellen Hiobsbotschaften nicht gelegentlich die Lust am Spotten?
Nein, das liefert schließlich genug Themen. Jede Krise gebiert ihre eigenen Abstrusitäten. Aber warum jetzt ausgerechnet Opel und seinen völlig überflüssigen Fahrzeugen, die keiner haben will, geholfen werden soll, das versteht doch niemand. Und so eine Finanzkrise ist das gefundene Fressen für ganz merkwürdige Gestalten, die da wieder hochgeschwemmt werden. Darunter sind solche Wesen wie Schäfer-Gümbel, der in normalen Zeiten mit Sicherheit nicht eine solche Stellung erreicht hätte.
Gut, bei Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Spitzenkandidat in Hessen, können wir uns darauf einigen, dass er als Politiker gewohnt sein muss, mit Häme und Spott übergossen zu werden. Aber ob Säuglinge, Radfahrer oder Rentner, Gnade findet in Ihrem Buch „Die bekloppte Republik“, aus dem Sie in Potsdam lesen, niemand. Wie groß ist Ihr Leiden an den Mitmenschen?
Dieses Leiden entsteht nur, wenn die Mitmenschen mit mir in Kommunikation treten wollen. Der Rentner, Radfahrer oder das Kleinkind, die können machen was sie wollen, die sind ja nur Objekte meiner Schreibwut. Wenn sie aber in meine Nähe treten, wie irgendwelche bundesdeutschen Dienstleister, GEZ-Fahnder, Handy-Vertrags-Verbimmler oder 50 Kurierfahrer am Tag, die an meiner Tür klingeln; dieser Kommunikationsangriff geht mir persönlich derart auf die Eier, dass das mit reiner Schreibwut auch nicht mehr zu heilen ist.
Aber allein schon das Beobachten von Mitmenschen scheint Ihnen arg zu schaffen zu machen.
Es macht mir vor allem Spaß, diese Beobachtungen in Sprache umzuformen, dafür neue Wörter zu finden.
Neue Wörter?
Ja, ich bin immer auf der Jagd nach neuen Metaphern. Das wäre übrigens ein guter Titel für meine Autobiografie: Die Jagd nach neuen Metaphern. Also durchforste ich Zeitungen und Anzeigen, alles, wo Sprache vorkommt, nach neuen Worten, die angesagt sind. Dabei ist mir aufgefallen, dass das Wort „vintagemäßig“ gerade ganz groß im Kommen ist. Alles ist vintage. Abgelegte Klamotten sind es schon lange. Schallplatten, Möbel und Mode. Und wenn jetzt alles vintage ist, wäre doch ein schönes Schimpfwort, dass sich perfekt in die Jugendsprache integrieren ließe, die sogenannte „Vintagefresse“.
Ah ja.
So versuche ich das Leben anderer zu bereichern, in dem ich ihnen solche Wörter an die Hand gebe. Aber vieles bleibt für mich unerreicht. Es gibt einen Wahlbutton der Grünen, da heißt es doch tatsächlich „Yes, we Cem“. Das ist doch an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten.
Ist Humor da das einzige Mittel, das noch hilft, nicht endgültig an der Spezies Mensch zu verzweifeln?
Das ist in der Tat das einzige Mittel. Sonst wird man nur depressiv und das führt zu Magengeschwüren oder anderen psychosomatischen Erkrankungen. Selbst mit Vernunft ist dem nicht beizukommen, denn Neid, Missgunst und Eitelkeit sind ja der Motor sämtlicher Handlungen in diesem Land.
Sie schlagen bei fehlendem Humor auch ausgiebigen Alkoholkonsum vor.
Alkohol geht natürlich immer. Der ist meiner Meinung nach auch zu Unrecht verschrien. Stellen Sie sich mal vor, wie es hier aussehen würde, wenn es keinen Alkohol gäbe. Übrigens, Adolf Hitler war Antialkoholiker. Das allein sollte uns schon zu denken geben.
Ist diese „bekloppte Republik“, in der wir leben, überhaupt noch zu retten?
Nein, denn einer ihrer Grundzüge ist es ja, bekloppt zu sein. Und ich glaube nicht, dass aus diesem Land der Bekloppten ein Staat der Weisen und Geläuterten wird. Da müsste man ja zu viel abschaffen. Allein 800 000 Lehrer. Wo wollen wir damit hin?
Ein überzeugendes Argument. Bleibt also nur die Flucht. Aber in eines unserer Nachbarländer auszureisen, ist keine gute Idee. Über den Engländer schreiben Sie: „Die Inselwesen fressen Fisch aus alten Zeitungen, saufen schales Bier und sind neidisch auf die Deutschen, weil die den Nationalsozialismus erfunden haben.“
Ja, das ist leider wahr.
Frankreich ist auch keine Alternative. Über den „Franzmann“ sagen Sie: „Was das Essen anbetrifft, ist er einer richtige Sau, dem Lurchi schneidet er die Stelzen ab, die Schnecke lutscht er aus ihrem Haus und den Käse frisst er erst, wenn er nach toter Oma riecht.“
Na, da fragen Sie mal einen Japaner, wie der das findet. Obwohl, der ist ja auch eine Sau in Essensdingen. Die französische Küche wird ja völlig überschätzt. Das ist im Grunde nur eine ganz große Schweinenummer.
Eine ganz besondere Zuneigung scheinen Sie zu Österreich entwickelt zu haben.
Ja, Kamerad Schnürschuh.
Das klingt ja noch freundlich. Aber Sie schreiben: „Hervorgegangen aus einem römischen Lager für unheilbare Geschlechtskrankheiten, haben im Laufe der Jahrhunderte alle durchreisenden Völker ihr Verwachsenen und Debilen im österreichischen Genpool entsorgt.“ Mal davon abgesehen, dass Thomas Bernhard Ihnen wahrscheinlich Recht gegeben hätte, an guter Nachbarschaft ist Ihnen wohl nicht gelegen?
Bernhard, Deix, da fallen mir ganz viele Österreicher ein. Aber eines macht den Österreicher schon wieder sympathisch, er leidet ja noch mehr an seiner Nationalität als der Deutsche. Jeder Österreicher, der mehr als zwei Synapsen zugleich in Gang setzen kann, leidet an diesem Land. Andere wandern aus, wie Peter Alexander oder Udo Jürgens.
Und wohin würden Sie nun auswandern, da die Nachbarländer nicht in Frage kommen?
Auswandern würde ich nur in ein Land, dessen Sprache ich nicht verstehe. Die Türkei wäre eine Alternative. Da könnte ich getrost die Zeitung aufschlagen und würde nichts verstehen.
Aber sehr viele Türken dort können sehr gut Deutsch.
Ja, das wäre der Haken. Bliebe also nur noch Afghanistan. Aber da sind auch schon so viel Deutsche.
Also bleiben wir hier und sind auf ewig dazu verdammt, „den Nachbarn auf der anderen Seite des moosgrünen Metallgitterzauns (RAL 6005) für ein komplett verblödetes Arschloch zu halten“, wie Sie schreiben?
Ich glaube ja. Denn wer hinter so einem Zaun wohnt, der hat es nicht anders verdient. Aber wir haben doch auch unseren Spaß daran, dass andere nicht so sind wie wir und wir immer auf sie herabschauen können. Uns selbst für etwas Besseres halten als den Rest der Welt, ist eine der wenigen Antriebskräfte, die uns auf ewig geblieben sind.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Dietmar Wischmeyer liest am Montag, 1. Dezember und Dienstag, 2. Dezember, in der Waschhaus Arena aus „Die bekloppte Republik“. Beide Veranstaltungen sind ausverkauft. Am 5. Mai liest Wischmeyer in Berlin. Karten unter Tel.: (030)61 10 13 13
Dietmar Wischmeyer, 1957 im niedersächsischen Melle-Oberholsten geboren, ist Kolumnist und Buchautor und Mitbegründer der legendären Frühstyxradio-Show.
Nach seinem Studium der Philosophie und Literaturwissenschaften war Wischmeyer für verschiedene Verlage und als Lehrer tätig. Ab 1988 war er Mitarbeiter beim Radiosender ffn. Dort begründete er die dreistündige Sendung Frühstyxradio mit und schuf unter anderem Charaktere wie „Kurt Krampmeier und Gürgen Ferkulat. Die Arschkrampen“, Günther den Treckerfahrer, Willi Deutschmann und den kleinen Tierfreund.
Als Autor hat er sich satirisch mit den Deutschen unter anderem in „Deutschbuch - Die Bescheuerten“ und „Die bekloppte Republik“ auseinandergesetzt.
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