Kultur: Allein mit der Stimme
Eine Intensität, die nur selten zu erleben ist: Rim Banna im Nikolaisaal
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Rim Banna hat sich für den Kampf entschieden. Doch nimmt sie keine Waffe in die Hand. Sie will niemanden verletzen, niemanden töten. Rim Banna will wachrütteln, allein mit ihrer Stimme. Und obwohl sie als Palästinenserin parteiisch ist, gerät sie immer wieder zwischen die Fronten. Denn im Konflikt zwischen Israel und Palästinensern gibt es auf beiden Seiten Gegner, die Rim Banna lieber schweigen sehen würden. Die Gegner auf der israelischen Seite, weil eine Stimme, die die Wahrheit sagen will, gefährlicher sein kann, als jede Waffe. Die Gegner auf der palästinensischen Seite, weil ihnen Rim Bannas Gesang zu schwach im Kampf gegen Israel erscheint.
Rim Banna war von Nazareth in den Nikolaisaal gekommen, um zu kämpfen. Denn jeder Auftritt, jedes Lied, dass sie singt, ist ein Kampf für die Sache ihres Volkes. Sie hatte ihren Ehemann Leonid Alexeienko dabei, der die Akustikgitarre spielte. Außerdem Mustafa Bouchou am Bass und Roberto Olori am Schlagzeug. Eine Palästinenserin, ein Ukrainer, ein Marokkaner und ein Italiener – als wollte Rim Banna schon allein mit der Wahl ihrer Musiker zeigen, dass ein Zusammen mit jeder Nation geht. Bevor die Band zusammen kam, trat die Sängerin allein auf die Bühne, um mit einem traditionellen Schlaflied aus ihrer Heimat das Konzert zu beginnen. Ausgerechnet mit einem Schlaflied? Doch ihr ging es weniger darum, die Zuhörer im Foyer einzulullen.
Es war, als wollte sie mit diesem leisen, manchmal getragenen Lied Frieden beschwören. Nicht unbedingt im Foyer, aber in Palästina, und sei es nur für diesen Abend. Denn Rim Banna sang zwar in Potsdam, doch man spürte, dass sie hoffte, ihre Lieder werden bis in ihre Heimat getragen.
Fast alle Lieder die an diesem Abend zu hören waren, sind auf ihrem aktuellen Album „Mirrors of my soul“ erschienen. In ihnen erzählt Rim Banna kleine Geschichten aus ihrer Heimat, in ihrer arabischen Muttersprache. Und auch wenn man nicht versteht, was sie singt, es reichen die kurzen Einführungen zu den Liedern, um zu wissen, was Rim Banna sagen will. Es geht um der Versuch eines Alltags im Krieg, um den Bruder, der im Gefängnis sitzt, mit dem die Sängerin das Schicksal ihres Volkes den Menschen außerhalb Palästinas näher bringen will. Musikalisch ist das weniger spektakulär. Viele Lieder klingen nach Pop, dem ein wenig Jazz beigemischt wurde.
Doch wenn Rim Banna sang, war das egal, denn dann wurde eine Intensität spürbar, die nur selten zu erleben ist. Als Rim Banna „Sarah“ anstimmte, schwand die räumliche Distanz zu Israel und den palästinenischen Gebieten förmlich bis auf die wenigen Meter bis zur Bühne. Denn „Sarah“ handelt einem 16 Monate alten Mädchen, das, als es die ersten Schritte laufen lernte, von einem Heckenschützen durch einen Schuss ins Gesicht getötet wurde. Es war ein Moment, der einem fast schon unerträglich schien. Aber gleichzeitig zeigte, wie unerbittlich tief eine einzige Stimme dringen kann. Dirk Becker
Dirk Becker
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