Kultur: Alles auf Schwarz
Depeche Mode knüpfen mit dem neuen Album „Playing The Angel“ an ihre frühen Meisterwerke an
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Depeche Mode knüpfen mit dem neuen Album „Playing The Angel“ an ihre frühen Meisterwerke an Ob er dem „schwarzen Schwarm“ schon begegnet sei, wurde Ben Hillier kürzlich gefragt. „The Black Swarm“, so nennen die Briten spöttisch die deutsche Gefolgschaft jener Band, deren weltweiter Erfolg auf der Insel nach wie vor mit Verwunderung aufgenommen wird. Vor allem hierzulande rotten sie sich immer noch zahlreich zusammen, die schwarz gekleideten Alt-Anhänger von Depeche Mode, wenn es darum geht, ihre Band zu feiern. Deren Anwesenheit, das zeigen die unausrottbaren „DM-Partys“, ist dabei keine Voraussetzung. Hillier verneinte die Frage übrigens. Er war niemals auf einen DepecheModeKonzert, empfand ohnehin wenig Begeisterung für deren Musik. Genau der richtige Produzent für unsere nächste Platte, dachte die Band sich, und engagierte Hillier, der unter anderem Blurs „Think Tank“ veredelte, für ihr elftes Studioalbum „Playing The Angel“. Sonderbar: nach dem Abgang des Keyboarders Alan Wilder waren „Ultra“ (1997) und „Exciter“ (2001) von den bekennenden DM-Fans Tim Simenon und Mark Bell produziert worden. Es wurden melancholische Ausflüge ins Stimmungsvolle. Nun setzt sich ein Fremder an die Regler, und plötzlich klingen Depeche Mode wieder ganz wie sie selbst. „Playing The Angel“ nimmt alles, was sie sich in der Zwischenzeit angeeignet haben – Blues und Gospel, Grunge und Gitarren – und bringt es auf den Stand ihres frühen Meisterwerks „Black Celebration“. Es ist schon erstaunlich, dass eine Band nach 25 Jahren zu einer Platte fähig ist, die einen solchen Druck entwickelt und deren Klanggestalt derart beißende Schärfe mit bohrender Schwermut vereint. Man vergleiche die Altersmüdigkeit anderer dekadenüberspannender Bands wie REM aus Amerika oder U2 aus Irland. Depeche Mode erfinden sich nicht neu, sie zitieren sich eher selbst – das tun sie aber auf eine überraschend laute, schmutzige und sehr zeitgenössische Weise. Kreischende Digitalverzerrung bringen sie zusammen mit wohligen alten Analogsynthesizern und ein wenig Gitarre, die mal zwanglos integriert ist, mal der Elektronik nackt gegenübersteht wie sonst nur Dave Gahans sonores Stimmorgan. Man hört, wie genau an den Details gearbeitet wurde, und dennoch klingt das Ergebnis oft ungehobelt, als sei es an einem Ghettoblaster abgemischt worden. „Playing The Angel“ ist ein Soundtrack fürs Wundenlecken, zu dem man sich auch rhythmisch bewegen kann. Es ist eine seltsame Erfolgs- und Überlebensgeschichte, die sich von Depeche Mode erzählen lässt. Nach den Anfängen in New-Romantic und Postpunk wechselten sie ins dunkle Fach und schufen drei große Alben: „Black Celebration“ (1986) „Music For The Masses“ (1987) und „Violator“ (1990). Was da nicht alles zusammen kam: Eingängigkeit und Größenwahn, Pop und Avantgarde, Schwermut und Rockhymne, und, wenn man ganz genau hinhörte, sogar ein wenig Motown-Funk. Es folgte eine Zeit bitterer Selbstzerstörung. Sänger Dave Gahan gefiel sich in der Rolle des kaputten Rockerlösers, unternahm Selbstmordversuche, erlitt zwei drogeninduzierte Herzstillstände, schlief in einem Sarg und schoss Löcher in die Wände seiner Wohnung. Martin Gore und Andrew Fletcher litten weniger öffentlich, aber auch sie haben einige Kliniken von innen gesehen. Depeche Mode sind wie eine alte Soap-Opera, von der man alle vier Jahre feststellen muss, dass sie immer noch läuft. Und dass sie immer noch recht gut ist. „Playing The Angel“ ist kein ganz großes Album geworden. Aber eines, das große Momente hat. Sie finden sich vor allem in den Vor-, Zwischen- und Nachspielen, wenn die Songs mal innehalten, wenn die Klangspuren sich neu schürzen oder dem Geräuschhaften zustreben. Doch die Songs an sich können nicht immer mit ihrem Klanggewand Schritt halten, obwohl sich das Thema Songwriting derart in den Vordergrund gedrängt hatte, dass die Band daran beinahe zerbrochen wäre. Martin Gore und Dave Gahan bilden eine gegenpolige Beziehung symbiotischer Anziehung und Abstoßung, wie man sie von den großen Songwriting-Partnerschaften des Pop kennt. Das Problem ist nur: Gahan schrieb überhaupt keine Songs. Er war stets der baritonale Klangkörper, der Gores dunkles Wesen verkörperte. Gore war der Geist, Gahan sein Unterleib. Eine Musik, die körperlich war wie schwitzender Hardrock, dabei aber „immateriell“ an Synthesizer, Sampler und Computer entstand, war der passende Ausdruck dieser seltsamen Kohabitation. Nachdem Gahan die Drogenhölle hinter sich gelassen hatte, verlangte er Emanzipation. „You''ll always need me much more than I need you“, sang er 2003 auf seinem Soloalbum „Paper Monsters“ und stellte in Interviews fest, dass es Depeche Mode fortan nur geben könne, wenn sich die Arbeitsteilung ändert. Drei Songs wurden Gahan nun erlaubt, und Gore lässt keinen Zweifel daran, dass er diesen Kompromiss nur einging, um die Band zu retten. „Suffer Well“ ist Gahans schönstes Stück, mit treibendem Beat und einem schlichten, großartigen Gitarrenriff, in seiner Eingängigkeit sogar eine mögliche Nummer-Eins-Single. Und Martin Gore? Wie gehabt. Grübelnd, leidend, schwelgend wühlt er sich tief in die Abgründe gefallener Seelen und gescheiterter Beziehungen. Depeche Mode wagen den Schritt zurück in den Schatten. Zuspätgekommene, die erst in den Neunzigern auf den Geschmack kamen, wird „Playing The Angel“ vielleicht verstören. Die schwarze Meute aber scharrt unruhig mit den Füßen. Depeche Mode: Playing The Angel (Mute/EMI)
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