
© Courtesy Nezaket Ekici & Verbo
Performance in der Schinkelhalle: Alles in der Schwebe
Die Künstlerin Nezaket Ekici beklagte in der Schinkelhalle die Situation von Frauen im Islam.
Stand:
Wie die schwarze Puppe eines Schmetterlings baumelt sie von der Decke. Nezaket Ekici hat sich mit einem Tschador verhüllt, nur Hände und Gesicht sind frei, an den Handgelenken blitzen ein paar dünne Goldarmreifen. Kopfüber hängend liest die 1970 in der Türkei geborene Performance-Künstlerin so am Donnerstagabend im der Schinkelhalle Suren aus dem Koran vor, Textstellen, die sich mit dem Verhältnis von Mann und Frau beschäftigen. So schlicht und rigide, wie viele Nicht-Muslime gerne glauben, ist das nicht. „Die Repression kommt nicht aus dem Islam selbst – sondern aus seiner Interpretation durch die Menschen“, trägt Nezaket Ekici etwa vor, keucht ein wenig, und liest dann weiter. Erzählt von der jungen Frau, die von Verwandten aus einem fahrenden Auto geworfen wurde. Nur um sie, als sie – noch lebend – auf der Straße lag, mit einem Maschinengewehr hinzurichten. Was machte die Polizei? „Nur ein Foto“, sagt Nezaket Ekici, ihre Stimme klingt jetzt schrill vor Schmerz. Nicht nur über den brutalen Ehrenmord, über den sie in der Zeitung las. Sondern auch, weil ihre Position ihr zunehmend zu schaffen macht. Das Blut strömt in den Kopf, unter dem Tschador, wird sie später erzählen, trägt sie Body, Rollkragenpullover und Strumpfhose, eingeschnürt ist ihr Körper in ein Bergsteigerseil. Und in der Schinkelhalle ist es warm an diesem Abend.
Auch für die Zuschauer wird ihr akutes Leid physisch greifbarer als das, von dem sie berichtet, es mischt sich mit der Bestürzung über das, was sie erzählt, was sie zusammengetragen hat aus dem Koran, aus ihren Tagebuchnotizen und aus Zeitungen. Gleichzeitig drängt sich beim Publikum das Unwohlsein des unfreiwilligen Voyeurs mit auf, das flaue Gefühl derer, die dem Schmerz anderer beiwohnen.
Immer wieder stöhnt Nezaket Ekici zwischen den einzelnen Texten auf, biegt den Rücken kurz durch, breitet die Arme aus, um sich Linderung zu verschaffen. Dann macht sie weiter. Erinnert sich an die Beerdigung ihres Vaters, bei der sie, ihre Schwestern und selbst ihre Mutter während des Gebets nicht auf dem Friedhof bleiben durften. „Das ist keine ursprünglich islamische Tradition, die Frauen hierbei auszuschließen, sondern eine Sonderregelung der Gemeinde meines Vaters“, sagt sie. Den Kummer, sich nicht mehr verabschiden zu können, mindert das aber nicht.
Und doch ist es nicht so einfach. Den Islam schlechtmachen, das will Nezaket Ekici nicht, sagt sie später im Künstlergespräch nach der Performance. „Dazu ist der Koran selbst zu wiedersprüchlich.“ An der einen Stelle spreche er von der Gleichheit zwischen Mann und Frau, an der nächsten heißt es, Männer seien den Frauen überlegen. Und dann gibt es eben auch ein paar Rituale, die sie, die deutsche Künstlerin mit türkischen Wurzeln, als Kind zu schätzen gelernt hat: das gemeinsame Fasten mit der Familie im Ramadan, das große Fastenbrechen, bei dem traditionell jeder – auch Nicht-Muslime – am Festessen teilnehmen dürfen. „Oder etwa die goldenen Armreifen, die ich so gerne trage und die ich besitze, seit ich 18 Jahre alt bin – meine aufgeschlossenen Künstler-Freundinnen fragen mich oft: Sag mal, kommst du aus dem Dorf?“ Dort nämlich bekämen die Frauen solche Armreifen zur Hochzeit, so Nezaket Ekici. Auf manches mag sie eben nicht verzichten – auch nicht auf den Genuss von Schweinefleisch. „Ich liebe den Geruch von Currywurst – esse sie aber nicht“, sagt sie und deutet grinsend auf ihr Glas mit Weißwein. Alkohol trinkt sie nämlich schon, auch wenn der Islam es verbietet. Solche Widersprüche machen ihr Spaß, „dadurch wird alles ja erst lebendig“, sagt sie. So ambivalent ihre Haltung zu ihrer Religion, so wechselhaft ist auch ihre Stimme, die beim Erzählen schnell von belustigt und ehrlich aufgebracht hin- und herschwenkt.
Differenziert wie ihr eigener Blick auf den Islam seien natürlich auch dessen Ausprägungen in den unterschiedlichen Ländern. Und alles ist immer wieder in Bewegung. In der Türkei oder etwa im Irak, wo derzeit die noch junge Terrororganisation IS vorrückt. Einen ersten Rückschritt für die Frauen habe es dort nach dem Einmarsch der Amerikaner ab etwa 2005 gegeben, sagt Nezaket Ekici. „Damals bekamen die religiösen Fundamentalisten die Oberhand, es gab Fälle, da wurden etwa Frauen am Steuer eines Autos erschossen – was zur Folge hatte, dass keine Frau mehr Auto fuhr.“ Ab 2008 aber trotzten viele Frauen, vor allem in Bagdad, den Fundamentalisten, viele legten Schleier und Kopftuch ab, in manchen Stadtvierteln gab es sogar Miniröcke, die Unis waren voll von Frauen, viele arbeiteten. Was sich jetzt unter dem Einfluss der vorrückenden IS-Milizen ändert, vermag sie noch nicht abzuschätzen, sagt Nezaket Ekici. Alles an ihr will sich ausdrücken, so scheint es, deshalb habe sie, schon während ihres Malerei- und Bildhauerei-Studiums, bald ihren Körper eingesetzt. „Damit kann ich mich einfach am besten ausdrücken, und dieses starken Bilder, die ich im Kopf habe, tatsächlich schaffen“, sagt sie.
Klar, mit dem eigenen Körper lassen sich Grenzen gut austesten – „alle meine Arbeiten haben etwas mit Grenzerfahrungen zu tun, ich kann das auch jedem nur empfehlen“. Um den reinen Schmerz geht es ihr dabei nicht, sondern um die Prozesse, die sie damit – bei sich und ihrem Publikum – auslöst. Denn natürlich entsteht während einer Performance ein viel intimerer Kontakt zum Künstler als in der einsamen Betrachtung eines leblosen Bildes, einer toten Skulptur.
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