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Kultur: Alles ist Kunst, oder?

Die Kraft des Hintersinns: Jan Henderikse stellt ab heute in der Inter-Galerie aus

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In einem Rahmen hängen auf rotem Untergrund ziemlich viele rote Riesenlutscher: neben- und untereinander. Ein anderes Werk versammelt mehrere gleiche, in China gefertigte Holografien, die eine lächelnde Mutter Maria mit einem Jesuskind zeigen. Davor sitzt jemand, der aussieht wie der erwachsene Jesus, aber sicher Josef meint. Alle drei blicken verzückt in eine blütenbewachsene Wald- und Wiesenidylle, wie man sie kitschiger nicht malen kann. Ein Mini-Rahmen zeigt eine turkmenische Briefmarke, die Lady Di abbildet.

Weitere Objekte der künstlerischen Neugierde sind buddhistische Totenkultbeigaben wie Oberhemden, an die eine billige Uhr geklebt wird, oder Pappmachéautos, vier an der Zahl, bunt bemalt. Das benutzen Angehörige der hinduistischen Religion bei ihren rituellen Verbrennungen als Beigaben für den Weg ins Jenseits. Jan Henderikse nutzt diese Gegenstände, um aus ihnen Kunst zu machen. Kontextunabhängig werden die meist irgendwie sinnlos wirkenden Dinge ihrer eigentlichen Funktion enthoben und erhalten durch den Rahmen, in dem sie präsentiert werden, eine andere Aura, sie entfalten eine ungeahnte Kraft. Es ist die Kraft des Hintersinns, die Jan Henderikse ausstellt.

Nichts von alldem, was da in der Inter-Galerie hängt oder steht, habe er selbst gemacht, betont schalkhaft lächelnd der in New York lebende Künstler, der im nächsten Jahr siebzig Jahre alt wird und schon seit den 50er Jahren seine unübliche Alltagskunst herstellt. Eigentlich ist er ein Sammler, sein Werk habe keine Bedeutung, sagt der grauhaarige Mann im Anzug, der in Holland geboren ist, aber schon lange die Distanz zu seinem Heimatland wahrt.

Im belgischen Antwerpen hat er sein Atelier. Aber meist hält er sich in New York auf, wo er in China-Town immer wieder neue Skurrilitäten findet, die er seiner Kunst einverleibt. Aber auch in Berlin wurde er fündig: Auf einem Sockel steht der Bronzeabguss eines Eisenteils, das von einer Charlottenburger S-Bahn-Brücke stammt und durch das im Zweiten Weltkrieg eine russische Granate hindurch geschossen wurde. Die Skulptur sieht aus wie eine „richtige“ Bronze, man denkt an Henry Moore. Die Bilder in den Rahmen sehen wiederum aus wie veritable Kunst, und das ist wahrscheinlich auch einer der Hintergedanken des ehemaligen Mitglieds der Gruppe Zero.

Natürlich hat er keine Gedanken beim Verfertigen seiner Kunst, das braucht Henderikse nicht extra zu betonen. Null Programm ist sein Programm, das aber dennoch in der Massierung solcher Nicht-Kunst-Gegenstände zu einem richtigen Kunstprogramm avanciert.

„Alles ist Gold“ lautet der Titel der Ausstellung, die heute in der Inter-Galerie eröffnet wird, aber auch das titelgebende Goldpapier, aus dem er eine Serie gefertigt hat, stammt selbstredend nicht aus seiner eigenen Produktion. Lediglich aufgeklebt habe er, sagt der Sammler und lächelt sein vordergründig unschuldiges Lächeln. Ein Bildschirm zeigt einen Film von 2002, „Alles ist Licht“, heißt die Dokumentation, in der man Henderikse bei der Arbeit und seinen Erklärungen, die keine sein sollen, beobachten kann.

Alles ist Humor, so könnte man die Philosophie des ernst-unernsten Künstlers bezeichnen. Eigentlich ist er selbst die größte Attraktion seiner Schau, und ihn kann man heute ab 18 Uhr bei der Eröffnung in der Inter-Galerie, Wilhelm-Staab-Straße leibhaftig lächeln sehen.

Lore Bardens

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