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Kultur: Alles wird gut

Finale des Landesrockwettbewerbs: Die beste Band Brandenburgs heißt Emit

Stand:

Finale des Landesrockwettbewerbs: Die beste Band Brandenburgs heißt Emit Rund 5 000 Rockbands gibt es im Land. 100 davon bewarben sich für den 12. Landesrockwettbewerb, der neuerdings „local heroes“ heißt, weil das in anderen Bundesländern auch so ist. Die Ehrenamtlichen vom Ausrichter des Brandenburgischen Landesrockverbandes, voran Thomas Nehrkorn und Alexander Haselhoff, den alle nur „Hase“ nennen, haben für das Finale im Lindenpark am Freitag ein Marathonprogramm mit insgesamt neun Bands aufgestellt. Drei davon spielen außer der Wertung für die rund 650 Zuschauer. Zunächst „Ruben“, der Sänger und Schlagzeuger der bekannten Potsdamer Band Dreamdiver. Bei seinem Soloprojekt wird Ruben vom fantastischen Pianisten Dietmar begleitet. Ruben wird Sieger der Herzen: Seine deutschen Songs sind eigenständig, Gänsehautnummern, seine Stimme besitzt den Sex des Reibeisens. Hase hatte Ruben eine halbe Stunde vor Beginn der Show angerufen, weil die Band JBeatsX schmollte und nicht zu Beginn spielen wollte. Sie trat dann überhaupt nicht auf. „Emit“ aus Nauen wurde dann für die Pole-Position in der Wertung ausgelost und dürfte alle überrascht haben. Klingt gefällig, stand so gut wie jedem auf die Stirn geschrieben, und sieht gut aus, nur, hey, irgendwoher kennt man den Sound. Der junge, stimmkräftige Frontmann scheint ein Identitätsproblem zu haben. Auch äußerlich ist er eine gelungene Kopie Brian Molkos, des Sängers von Placebo. Mit dem Gewinn des ersten Platzes der Ausscheidung, also 2 000 Euro plus ein Auftritt beim zweitgrößten polnischen Open Air Festival im nächsten Jahr, hätte niemand gerechnet. Die fünfköpfige Jury, die erst kurz vor Beginn fest stand, hatte über sechs Stunden harte Arbeit vor sich. Wirkliche, altgediente Rockexperten mit Anbindung an die Musikindustrie, geschweige denn Medienprofis oder Vertreter von Plattenlabels stünden dem Gremium gut zu Gesicht. Auch das Publikum durfte „voten“. Jedes Jurymitglied hatte 200 Stimmen, die 600 des Volkes hatten also einen gehörigen Einfluss auf das Ergebnis. Die zweite Band für die Wertung, Earthbend, zeigt mit ihrem 30 Minuten Set, dass sie fähig ist, eine Nummer präzise zu Ende zu bringen. Die Songs sind eigenständig, ja, denkt man, da ist ein Potenzial, würde der Sänger nur ein wenig besser singen können. Verglichen mit dem was am Ende des Abends kommt, stehen die drei wohl erzogen vor den Mikros. Auch eine Überraschung: Der Sieger aus dem Vorentscheid in Finsterwalde gewinnt immerhin eine Woche Tonstudio. Dann betritt der Vorjahressieger „Ortega“ die Bühne, große Gesten des exaltierten Frontmannes, viel elektronisches Zeugs, DJ Pult, Herumgezappele. Der Leadsänger sagt motivierend: „Gewinnt diesen Preis, die Welt ist so anders danach.“ Da war es schon halb elf. Mit den Potsdamer Lokalmatadoren „Alles Gute“ konnte alles gut werden. Zum ersten Mal wird das Publikum lebendig, Seifenblasen steigen auf. Bei dem Übergewicht an Jungs unter märkischen Rock war eigentlich klar, dass jede Mädchenband, die ein halbwegs passables Set zustande bekommt, gut im Rennen liegt. Mädchen, die deutsch singen, gut aussehen, wie die Gitarristin Cathi, sind ja jetzt Mode. Jule, die Sängerin, gibt sich hinterher allerdings keine Siegeschancen, „weil die anderen besser sind.“ Hier hat die Jury ebenfalls das Entwicklungspotenzial gesehen. Alles Gute bekommt ebenfalls fünf Tage im Studio, was eigentlich ein wertvollerer Preis ist als die 1200 Euro, die die zweitplazierten Entrophy gewinnen. Ihre Musikrichtung heißt Metal Crawl, und wird von den drittplazierten Sickspawn, übersetzt ungefähr „übler Fischlaich“ und den Frankfurtern „Disorder“ geteilt. Hier entdeckt die Musik ihre Grenze zum internalischen Wutausbruch neu. Gitarren und Schlagwerk werden gequält, mancher der Zuhörer auch. Ohropax gab es für 50 Cent am Tresen. Englische Texte werden mit aller Kraft in das Mikro gebrüllt. Hier ist Musik nur noch „Haltung“, nämlich kompromisslose Aggression. Interessant wäre zu wissen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Situation der Jugendlichen im Umland und der Häufung dieser bewusst an die Schmerzgrenze gehenden Rockrichtung, zumal das Posing der Sänger so martialisch, pathetisch und körperverliebt ist, das es ungute Assoziationen weckt. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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