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Kultur: „Als griffe er Akkorde “

Der Kirchenmusiker Otto Becker starb vor 50 Jahren /Eine Ausstellung erinnert

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Der Kirchenmusiker Otto Becker starb vor 50 Jahren /Eine Ausstellung erinnert Am morgigen Sonnabend jährt sich zum 50. Mal der Todestag des bekannten Potsdamer Kirchenmusikers Prof. Otto Becker. Aus diesem Anlass wurde die Ausstellung zur Garnisonkirche in der Breiten Straße 7 um zahlreiche Dokumente aus Beckers Leben bereichert. Im „Raum der Erinnerung“ geben historische Fotografien und Dokumente Aufschluss über den Lebensweg des Musikers. Otto Becker wird am 24. Februar 1870 als zweites von acht Kindern des Tischlermeisters Berthold Becker und seiner Ehefrau Luise in Breslau geboren. Ein Lehrer macht auf die besondere musikalische Begabung und das absolute Gehör des Knaben aufmerksam, und so schenkt ihm der Vater an seinem siebenten Geburtstag eine Geige. Er macht schnell Fortschritte, nimmt daneben mit zehn Jahren Klavierunterricht, geht 1884 auf das Schlesische Konservatorium in Breslau und ist mit 17 Jahren erster Geiger im dortigen Orchesterverein. Mit zwanzig Jahren setzt sich Becker erstmals an eine Orgel, die zu seinem Lieblingsinstrument wird. Der 1891 gewonnene Mendelssohn-Preis ermöglicht ihm das Studium an der Berliner Hochschule. Noch vor dem Abschluss wird Becker 1894 Organist der Spandauer Garnisonkirche und wechselt 1896 an die St. Andreaskirche am Stralauer Platz in Berlin. Seine regelmäßigen Orgelfeierstunden erfreuen sich bald großer Beliebtheit. 1897 erhält er einen Lehrauftrag für Orgelspiel und Theorie an der Hochschule für Musik in Berlin. Zu seinen Schülern zählen der spätere Leipziger Thomasorganist und -kantor Günter Ramin und Fritz Heitmann, später Domorganist in Berlin. Aus der 1896 geschlossenen Ehe mit der Geigerin Bianca Samolewska gehen vier Kinder hervor. Der erste Sohn Karl, 1898 geboren, stirbt im Alter von kaum einem Jahr an Diphterie. Im Jahr 1900 folgt die Geburt des Sohnes Curt, der später als Cellist mit seinen Eltern im „Potsdam Trio“ zusammenwirkt (1940 als Soldat gestorben). 1904 wird Robert geboren (später Fagottist), 1916 die Tochter Ursula, die heute hochbetagt in Göttingen lebt. In seiner musikalischen Laufbahn begleiten Otto Becker die Komponisten und Dirigenten Max Bruch, Hans von Bülow und Johannes Brahms als väterliche Freunde. 1902, während der Zeit an der Berliner Andreaskirche, findet Becker Kontakt zu dem noch unbekannten Komponisten Max Reger, den er durch Werkaufführungen unterstützt. Es entsteht eine Freundschaft, die bis zum frühen Tode Regers bestehen bleibt. 1907 an die Alte Garnisonkirche in Berlin berufen, setzt Becker seine Musikalischen Feierstunden und Orgelkonzerte fort und tritt in den Berliner Konzertsälen auf. Zu Hause gibt es monatlich einen „musikalischen Tee“, zu welchem verschiedenste Berliner Künstler erscheinen. Am Abend des 13. April 1908 brennt die Berliner Garnisonkirche nieder; zur Wiedereinweihung am 14. August 1909 wird Becker „Königlicher Professor“. Am 1. Juli 1910 wechselt er als Hof-Kantororganist an die Potsdamer Garnisonkirche. Die Handhabung des Glockenspiels, die zu seinen neuen Aufgaben gehörte, ist ihm völlig fremd. Zunächst einstimmige Weisen spielend, erlernt er den virtuosen Umgang mit dem Carillon autodidaktisch. Im Verlaufe seines Lebens hat er über 2000 Glockenkonzerte gegeben und etwa 200 Choralsätze für das Glockenspiel komponiert. 1911 gründet das Ehepaar Becker mit dem Cellisten Walther Schmidt die Kammermusikvereinigung „Potsdamer Trio“. Später übernimmt Sohn Curt den Cellopart. Konzertreisen führen die Beckers durch Deutschland und bis nach Finnland. 1915 ist Becker auch Organist der Potsdamer Synagoge. Beckers Frau Bianka stirbt 1925 im Alter von 49 Jahren. Seine zweite Frau, Elisabeth, hat noch die Aufstellung des rekonstruierten Glockenspiels 1991 erlebt und mit bewegenden Worten an ihren Mann erinnert. Am „Tag von Potsdam“, an dem die Nationalsozialisten den Schulterschluss zwischen dem „alten Preußen“ und der „jungen Kraft“ inszenierten, hat Becker den Staatsakt mit seinem Orgel- und Glockenspiel zu begleiten. Im April 1933 versucht ein SA-Trupp, ein Konzert des Garnisonorganisten zu boykottieren, da man ihn für einen Juden hält. Als bald auch die Aufführung der Werke von Komponisten jüdischer Herkunft verboten wird, bringt Becker sie weiter zu Gehör. Selbstverständlich spricht er mit seinen jüdischen Mitbürgern auch dann noch, als sie den Davidsstern tragen müssen. Für politische Häftlinge lässt er deren Lieblingschoräle vom Glockenspiel über der Stadt erklingen. Am 1. April 1939 geht Otto Becker in den Ruhestand, bleibt auf eigenen Wunsch weiter Glockenist und will sich nun stärker seiner kompositorischen Tätigkeit widmen. Nachfolger Fritz Werner wird jedoch mit Kriegsbeginn zum Militär eingezogen und Becker versieht erneut den Dienst an der Garnisonkirche – bis zu deren Zerstörung. Im Krieg wirkt er bei Benefizkonzerten für das Rote Kreuz und Aufführungen in Hospitälern und Lazaretten mit. Nach dem 14. April 1945 waren nicht nur Glockenspiel und Orgel in der Garnisonkirche vernichtet, sondern auch die wertvolle Notensammlung Beckers, seine Kompositionen, Manuskripte, Programmsammlungen, das Glockenbuch und das Turm-Gästebuch. Nach dem Einmarsch der Roten Armee wird Beckers Wohnung in der Alexandrinenstraße (Helene-Lange-Straße) beschlagnahmt. Fortan wohnte er mit seiner zweiten Frau bei der Schwiegertochter in der Margarethenstraße (Carl-von-Ossietzky-Straße). Weiter beteiligt er sich aktiv am Musikleben Potsdams, gibt Orgelkonzerte in der Friedenskirche und wirkt als Cembalist. Zu seinem 80. Geburtstag ehrt man ihn mit musikalischen Feierstunden in der Erlöserkirche und im Nikolaisaal, wo unter der Leitung Karl Landgrebes alle Chöre der Stadt beteiligt sind. Kurz bevor Becker am 16. Oktober 1954 verstirbt, „habe er mit den Händen über das weiße Bettuch gegriffen, als griffe er Akkorde, und er habe dabei gelächelt, als lausche er wundersamen Sphärenklängen“. Andreas Kitschke Die Ausstellung ist geöffnet mittwochs bis sonntags 13 bis 18 Uhr.

Andreas Kitschke

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