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Kultur: Amoklauf gegen Trabbis

Eckhard Becker spielt „Filmriss“ im Comédie Soleil

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Eckhard Becker spielt „Filmriss“ im Comédie Soleil Als das Licht auf der Bühne angeht, sind zwei Dinge sofort klar: Das Stück spielt in einer Gefängniszelle, das Fenster ist vergittert, und es spielt in der DDR, an der Wand hängt ein Honecker-Bild. Nur warum der Mann, der niedergeschlagen dasteht, sich in der Zelle befindet, das ist überhaupt nicht klar. Er sieht aus wie ein harmloser Bürger, in Jeans, rotem Kordhemd und heller Lederjacke. Über Lautsprecher ist der Beginn des Stückes als Hörspiel zu hören, der Mann wird aufgefordert, zu warten, gleich komme jemand für das Protokoll. „Filmriss“ ist ein Hörspiel von Horst Matthies, das 1985 vom Rundfunk der DDR gesendet wurde. Das Comédie Soleil in der Brandenburger Vorstadt hat das Stück nun zwanzig Jahre später auf die Bühne gestellt. Während der Mann auf sein Verhör wartet und vor sich hin brabbelt, er werde nichts sagen, das verstehe ohnehin niemand, beginnt er, seine Geschichte zu erzählen. Das Hörspiel eignet sich für die Vermittlung dessen, was im Kopf eines Menschen vorgeht, für den inneren Monolog. Die Bühne kann zwar eine vierte Wand behaupten und so tun, als gäbe es kein Publikum, aber kraftvoll ist Theater dann, wenn es seinen Live-Charakter nutzt, indem es sich dem Publikum direkt zuwendet. So beginnt die Inszenierung von Michael Klemm etwas schleppend, indem der Potsdamer Schauspieler Eckhard Becker so tut, als gäbe es kein Publikum und sich zudem noch eine Diskrepanz zwischen seiner niedergeschmetterten Haltung und der weitaus unbeschwerteren Stimme des Festgenommenen im Hörspiel auftut. Aber der Anfang ist schnell vergessen, wenn Eckhard Beckers Figur zu Leben erwacht und das Publikum zum Zeugen seiner Lebenserfahrungen und –betrachtungen wird und quasi zum Richter seiner Tat. Es klingt banal: ein Mann demoliert mehrere Autos als Rache für einen Film, der aus seinem Fotoapparat gezogen und damit zerstört wurde. Als diese Tat gegen Ende endlich beschrieben wird, wirkt sie nicht mehr banal, sondern ist der Amoklauf eines Mannes gegen eine Welt, die ihn nicht ernst nimmt, nicht versteht, die er nicht versteht und gegen deren Spießigkeit und Gleichgültigkeit er machtlos ist. Es gelingt Eckhard Becker nicht nur, verständlich zu machen, was seiner Figur die Fotos des Seeadlers, die er nach vierjähriger vergeblicher Jagd endlich knipsen konnte, bedeuteten. Der Schauspieler zeigt auch einen Mann, in dem es brodelt, der sich über die Sinnlosigkeit der Diplomatenjagd, das Wegschmeißen von Brot, die Missachtung eines Mannes, der nicht dem üblichen Bild des Erfolgsmenschen entspricht und die unüberlegte Produktion des Backwarenkombinats, in dem er am Fließband steht, aufregt. Der mit kerniger Stimme und funkelnden Augen in unberechenbare Ausbrüche verfällt, die durch Mark und Bein gehen. Doch fast wirkte die Kraft des Schauspielers vergeudet an einen Stoff, der ganz so drastisch und aufrüttelnd dann auch wieder nicht ist. Schön wäre es, Eckhard Becker in einem brisanteren Stück zu sehen. Denn der Versuch der Inszenierung, durch Pausen, Weinen und Musik, tiefere Tragik zu produzieren, war dem Monolog nicht angemessen, wollte eine Tragweite produzieren, die das Stück nicht hat. Trotzdem wünscht man sich mehr als elf Zuschauer in den mit rotem Stoff überzogenen Zuschauerreihen unter dem Backsteingewölbe des Comédie Soleil.Dagmar Schnürer Vorstellungen: 9. bis 11. Juni, 20 Uhr, Comédie Soleil, Feuerbachstraße 3.

Dagmar Schnürer

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