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Kultur: An der Grenze

Deutsch-Polnisches: Über Leben, Tod, Vergewaltigung

Ein alter Mann sitzt mit seinen dünnen Beinchen in einer halb gefüllten Badewanne, in der Fische schwimmen. Obenherum ist er bekleidet und auf dem Kopf trägt er verwegen einen Cowboy-Hut. Er schaut den Betrachter verschmitzt-verschüchtert an. Dieses Porträt, das der polnische Fotograf Anrzej Lazowski in einer Ausstellung im al globe zeigt, hängt ziemlich versteckt in einer Ecke – und es ist doch eine der interessantesten Arbeiten.

Der 1973 geborene Fotograf beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Themenbereich „an der Grenze“, den er umfassend versteht. An der Grenze ist zunächst natürlich für ihn die deutsch-polnische Grenze, wo er Menschen porträtiert. Er arbeitet zudem mit historischen Fotos, zum Beispiel aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Auch die Grenze zwischen Leben und Tod gehört für ihn in diesen Kontext, und so sieht man eine Menge großformatiger alter Gesichter, auf denen sich die Falten quer und längs ziehen oder einen Alten, der mit skeptischem Blick und vor dem Gesicht verschränkten Fäusten versucht, dem Leben immer noch zumindest eine trotzige Freude abzuringen. Welche Grenzbeziehungen die Aufnahmen bekannter Politiker aufweisen, wie die von Jaruzelksi, der durch die Weitwinkel-Aufnahme schwarz bedrohlich wie ein Schattenmann daherkommt oder das Nahporträt von Helmut Schmidt, bleibt dem Betrachter ebenso verborgen wie die Metallplatten verwischter und negativer Stadtansichten. Dem Künstler scheinen offenbar viele Themen als grenzwertig, und so bleibt über der ziemlich disparaten, zum Teil unsanft eng gehängten Ausstellung immerhin diese Klammer als verbindendes Konzept.

Um eine andere Art der Grenzziehung ging es in dem zur Eröffnung projizierten Dokumentarfilm „Meiner Mutter Land“ des deutsch-polnischen Regisseurs Michael Majerski. Er hat inzwischen betagte Frauen in polnischen Dörfern aufgespürt, Deutsche, die nach 1945 einfach nicht weggegangen sind wie alle anderen. Sie erzählen abwechselnd von ihrem Schicksal, von den Russen, die kamen und gnadenlos vergewaltigt haben ebenso wie von der Fremdheit zu den plötzlich eine andere Sprache sprechenden, andere Sitten habenden Nachbarn. „Nun ja,“ sagt eine, „1947 wurde meine Tochter geboren und ich wurde vergewaltigt“ mit einem Schulterzucken, das ihre Verletzung nur notdürftig versteckt. Es waren ja nicht nur Polen, die sich in den ehemals deutschen Gebieten niederließen, sondern auch Ukrainer oder Russen, und so musste erst ein Gleichgewicht gefunden werden, sprachlich ebenso wie kulturell.

Dieses Thema, das gerade in der deutsch-polnischen Kommunikation bisher tabuisiert wurde, ist sicher wichtig und eine schnelle Aufarbeitung tut angesichts des Lebensalters der Betroffenen Not. Allerdings ist die monotone Strukturierung des beständig mal die eine, dann die andere alte Frau sprechen lassenden Streifens nicht gerade dazu angetan, das Interesse wirklich zu entfachen.

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