Kultur: An der Grenze zur Temporaserei „Vocalise“-Hommage an Robert Schumann
Es gehört zweifellos zu den Top Five in Brandenburgs Orchesterlandschaft, das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus, das seine Hausaufgaben vorrangig im Bereich von Oper, Operette und Musical zu erledigen hat. Doch der Name der Musikergemeinschaft am renommierten Dreispartentheater deutet es an: auch mit seinen Konzertprogrammen spricht es ein gewichtiges Wort in der Region mit.
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Es gehört zweifellos zu den Top Five in Brandenburgs Orchesterlandschaft, das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus, das seine Hausaufgaben vorrangig im Bereich von Oper, Operette und Musical zu erledigen hat. Doch der Name der Musikergemeinschaft am renommierten Dreispartentheater deutet es an: auch mit seinen Konzertprogrammen spricht es ein gewichtiges Wort in der Region mit. Und zwar besonders erfolgreich, als vor zwei Jahren der Amerikaner Evan Christ den Posten des Chefdirigenten übernommen hatte. Ein Teufelskerl als Taktstockarbeiter, der vor Energie fast zu bersten scheint. Klangabenteuer sind seine Stärke, bei denen die Musiker ihm bereitwillig folgen. Wie beim „Vocalise“-Auftritt am Samstag in der proppevollen Friedenskirche, als es Robert Schumann als einen der diesjährigen Jahresjubilare zu ehren galt.
Und zwar mit seiner 4. Sinfonie d-Moll op. 120, die entstehungsgeschichtlich eigentlich seine zweite ist. Ihre vier Sätze sind hintereinander zu spielen, wobei die Zäsuren zwischen ihnen Generalpausen gleichen. Was bedeutet, dass das Netz von melodisch-thematischen Beziehungen, die der Komponist über sein dreißigminütiges Opus spannt, nicht zerreißen darf. Evan Christ sorgt dafür: er dirigiert wie auf dem Sprung, mit großen Gesten und vollem Körpereinsatz, gibt präzise die Einsätze. Die langsame Einleitung des Eingangssatzes nimmt allmählich Fahrt auf, sammelt dabei Energien auf, die sich in einer spannenden Überleitung fulminant entladen. Fast an der Grenze zur Temporaserei vollzieht sich in oftmals zu hektischer Betriebsamkeit die weitere sinfonische Entwicklung, wo Schumann doch nur „lebhaft“es Spiel einfordert. Solche Vorgehensweise erinnert ein wenig an die Tage zuvor erlebte Wiedergabe der Bachschen h-Moll-Messe durch Festivalchef Ud Joffe.
Leidenschaft ist auch Evan Christ innerer Antrieb. Zum Atemholen lässt er der Musik nur wenig Zeit. Er bevorzugt einen hellen und klaren Klang, der romantische Seelenergießungen kaum aufkommen lässt. Mittel zum Zweck ist sparsamer Gebrauch des Vibrato, was leichtes und lockeres Musizieren des kompakten Geschehens ermöglicht. Umso kontrastierender und ausdrucksintensiver wirkt der „ziemlich langsam“ zu spielende Romanzen-Satz. Mit viel Trompetenglanz und Hörnerschall jubelt das Finale, strotzend vor Lebensfreude.
Im Kontrast dazu steht die nach kurzer „Umbaupause“ erklingende c-Moll-Messe op. 147, bei der sich die verinnerlichte Seite des Komponisten vorführen kann. Nun führt Matthias Jacob den Taktstock, spornt die Musiker zu Klängen voller Innigkeit und Intensität an, lässt sich von ihrer Spielweise inspirieren. Gemeinsam mit dem Oratorienchor Potsdam sind alle Beteiligten auf den Ausdruck von Würde und Ernsthaftigkeit eingeschworen. Thematische Bezüge werden prägnant vorgeführt, wobei dem Chor die hauptsächliche „Beweislast“ zufällt. Schmerzvoll tönt er im „Kyrie“, machtvoll und hymnisch im „Gloria“, dynamisch flexibel im gewaltigen „Credo“, sehr verhalten, fast lieblich im „Sanctus“. Sauber wird intoniert, geschmeidig und größtenteils auch homogen gesungen – wenn nicht gerade einige Männerstimmen unschön hervordrängen. Den Solisten fallen nur kleinere Aufgaben zu. Sehr schlicht, aber wenig sopranleuchtend singt Ulrike Staude den Marienhymnus „Tota pulchra est“. Kraftvoll stimmt Tenor Thomas Blondelle das „Benedictus“ an, während Jonathan de la Paz Zaens mit lyrischem Basswohllaut zu gefallen weiß. Der Beifall will kaum enden. Peter Buske
Peter Buske
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