Kultur: Anarchischer Angriff
Das Duo Igudesman und Joo verwandelte im Nikolaisaal klassische Stücke in großen Spaß
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„Meine Damen und Herren“, begrüßt Geiger Aleksej Igudesman das Publikum im ausverkauften Nikolaisaal, „wir spielen jetzt Mozart“. - „Nein“, keift Pianist Hyung-ki Joo dazwischen, „wir spielen jetzt James Bond.“ Die Stimmen werden lauter, die verbale Auseinandersetzung steuert einer körperlichen Konfrontation entgegen. Zur Beruhigung der samstagabendlichen Bühnensituation beginnt die Geige mit dem bekannten Thema aus der „Kleinen Nachtmusik“. Keine fünf Takte später stört das Klavier mit den aus dem Kino so bekannten „Bond“-Klängen das Idyll. Doch dann verzahnen sich beide Themen auf wundersame Weise zu einer neuen Melodie.
Irgendwie, irgendwann schleicht sich durch die Musiker des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt unter Leitung von Howard Griffiths das Thema von Mozarts Türkischem Marsch dem Geschehen hinzu. Ein neues Stück ist geboren: „Mozart Bond Alla Molto Turca“. Man dürfe, so Piano-Joo, dabei aber auch nicht die orientalisch-europäisch-lateinamerikanisch-fernöstlichen Eigenheiten unbeachtet lassen. Die Energie müsse fließen: „Streck‘ die Zunge ganz raus!“ Was den Geiger, zusätzlich zu seiner exzellenten Saitenarbeit, zu akrobatischen Grimassen und Verrenkungen herausfordert. Der Saal tobt.
Schlagfertig und saitenfetzig geht es in der frei nach Mozart benannten „Großen Albtraummusik“ des Komikerduos Igudesman und Joo auch im Folgenden weiter. Beide sind virtuose Könner ihres Fachs, verfügen über schier überbordenden Spiel- und Wortwitz, der sich in humorvollen, parodistischen, klamottigen und mitunter sogar peinlichen Sketchen wie etwa einer Bach-Vivaldi-Satire offenbart. Das zunehmend in Stimmung kommende Publikum wird zur kollektiven interaktiven Mitarbeit aufgefordert, der es hemmungslos nachkommt. Auch die Frankfurter Musiker scheinen wie von der Leine gelassen: Sie singen Background, einige von ihnen tanzen und spielen an der Rampe oder beteiligen sich lustvoll an den Attacken auf die Lachmuskeln.
Klassische Klänge, wie etwa der langsame Satz aus einem Klavierkonzert von Rachmaninow oder ein elegisches Stück in Elgarscher Machart, mäandern durch die schrägsten Harmonien und rasantesten Rhythmen, um schließlich in den Gefilden von Country- oder Salonmusik zu landen. Nicht weniger köstlich die Parodie auf Liszt und seinen vollgriffigen Klaviersatz.
Allerdings sollte man die klassischen Originale schon kennen, um ihren anarchischen Metamorphosen folgen zu können. Dabei wird auch der kommerzielle Konzertbetrieb – erstens immer nur lächeln; zweitens nur Melodien spielen, die jeder kennt; drittens immer schön angeben – aufs Korn genommen. Manche Verkleidung als störende Putzfrau, Kung-Fu-Krieger im Kampfdress mit Geigenbogenwaffe oder als Cowboys sorgen optisch für zusätzlichen Spaß an der Freude. Kurzum: Alles was Igudesman und Joo machen, ist zum Schreien komisch. Unterstützung erhalten sie gelegentlich durch Friedrich „Flip“ Philipp-Pesendorfer. Überraschend die Zugaben-Pointe: „Und jetzt spielen wir Mo(Lachen)rricone!“ Ganz ernst, ausdrucksintensiv, gefühlsinnig. Große Kunst statt Klamotte – auch das können Igudesman und Joo. Peter Buske
Peter Buske
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