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Blick zurück. Murat Özçelik reist in die Vergangenheit.

© Öluncanlar / sehsüchte

Kultur: Anders als das Klischee

Im Fokus der „Sehsüchte“ standen dieses Jahr türkisch-kurdische Filme

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Da sind zwei junge Typen, ein dünner und ein dicker. Die beiden wohnen zusammen in Istanbul. Und dann müssen sie ausgerechnet in die Provinz, nach Usak. Ein Onkel von dem Dünnen ist gestorben. Wie es sich gehört, stellen sie sich bei den entfernten und fremden Verwandten vor, aber sie halten es keinen ganzen Tag lang in Usak aus. Mit dem nächsten Bus flüchten beide in „The Usak Thing“ zurück nach Istanbul. Auch in „Hamam“ hat ein junger Türke Schwierigkeiten mit den Traditionen. Er besucht das Badehaus, weiß aber nicht so recht wie man sich dort verhält. Am Ende wird er auch noch eingeschlossen.

Türkisch-kurdische Produktionen wie diese laufen zum ersten Mal auf dem Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ in den Thaliakinos. Das Festival hat den Filmen aus der Türkei den Filmblock „Fokus“ gewidmet. Ein Tanzfilm über tratschende Frauen ist dabei, zwei Animationsfilme und ein Kurzspielfilm über eine kurdisch-deutsche Braut. „Filme aus der Türkei sind ganz anders als das Klischee, das ich im Kopf hatte“, sagt Eric Ryhiner, der den „Fokus“ organisiert hat.

Frank Becher, Organisator des deutsch-türkischen Filmfestivals in Nürnberg, kann auf der anschließenden Podiumsdiskussion in der Hochschule für Film- und Fernsehen zwei Trends im türkischen Film benennen: Fremd im eigenen Land sei eines der Themen, das junge Filmemacher beschäftige, ein anderes die Erkundung der Türkischen Provinz mit langsamen Landschaftsaufnahmen und kleinen Alltagsgeschichten.

Auffällig sei jedoch, dass zurzeit mehr Dokumentarfilme entstehen, die sich mit der politischen Vergangenheit der Türkei kritisch auseinandersetzen. Das liege auch daran, dass es mittlerweile möglich sei, solche Filme in der Türkei zu drehen und zu zeigen, bestätigte Filmemacher Murat Özçelik. Sein Film „Ölüncanlar“ (Dead Souls) ist so ein Dokumentarfilm.

Murat Özçelik hat 1999 das Massaker im Gefängnis Ulucanlar in Ankara knapp überlebt. Elf seiner „Freunde“, wie sich die politischen Gefangenen untereinander nennen, sind dabei gestorben. Sie hatten damals keine Chance, unbewaffnet waren sie eine Nacht lang im Gefängnis den Gasbomben, Schüssen, Schlägen und der Folter von hunderten bewaffneten Polizisten ausgeliefert. Aus Privatarchiven hat Murat Özçelik Filmaufnahmen bekommen, die die malträtierten Körper der Gefangenen zeigen, als sie endlich im Krankenhaus eingeliefert werden. „Mein Sohn sah nicht mehr wie ein Mensch aus“, erzählt eine Mutter der Kamera. Sie hat damals mit vielen Eltern gehofft, ihren Sohn lebend wiedersehen zu dürfen. Auch einige von Özçeliks ehemaligen Mitgefangenen erzählen von der Nacht. Noch immer stockend. Einem sieht man das Glasauge nicht an. Ein anderer kann die Spuren jener Nacht nicht verstecken, fehlende Finger, ein hervorstehendes Auge. Alle waren politische Gefangene.

Murat Özçelik wurde verhaftet als er 17 war. Er hatte an einer Demonstration für die Rechte der Kurden teilgenommen, dafür drohten ihm 20 Jahre. Da er noch nicht 18 war, wurden es acht. Eine offizielle Anklage, einen Prozess gab es nie.

Noch bevor er 2003 entlassen wurde, fing er vom Gefängnis aus an Film zu studieren. „Ölüncanlar“ ist sein erster Langfilm. Murat Özçelik erzählt in sich gekehrt und ernst, aber er wirkt nicht verschlossen. „Manchmal musste ich beim Schneiden mehrere Monate Pause machen“, sagt er. Es sei schwer gewesen, seine toten Freunde auf den Aufnahmen zu sehen. Aber hätte er den Film nicht gemacht, wäre es noch unerträglicher geworden, das Erlebte in sich behalten zu müssen. Trotz der traurigen Ereignisse ist es ein leiser Film, der seine Geschichte mit einer Distanz erzählt, lieber andere zu Wort kommen lässt, nicht jedes Detail erläutert. Als er vor drei Jahren mit dem Drehen begann, war das Gelände eine verlassene Ruine. Aber alles, auch der Geruch, war noch dort. Heute hat man daraus ein Kulturzentrum gemacht. Er sei vor Kurzem noch mal dort gewesen und habe es nicht mehr erkannt. „Nichts soll an die Vergangenheit erinnern“, sagt er. In seinem Film ist sie jedoch unbestreitbar bewahrt. Undine Zimmer

, ine Zimmer

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