Kultur: Anders sehen
Rebecca Sampsons Porträtserie „Aussehnsucht“ ist ab Dienstag im Waschhaus zu sehen
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Ein Satz aus dem Gespräch mit Rebecca Sampson schwingt noch lange nach. Sie erzählt von ihren Fotoaufnahmen in Bad Oeynhausen und wie sie die Porträts den Frauen und Männern zeigt. Da bricht eine Frau beim Betrachten ihrer Bilder in Tränen aus und sagt: „Ich wusste nicht, dass ich so schön bin.“
2009 ist Rebecca Sampson nach Bad Oeynhausen zurückgekehrt. In die Klinik am Korso, einem Fachzentrum für gestörtes Essverhalten. Fünf Jahre zuvor war sie schon einmal dort gewesen, als Patientin. Jetzt, nachdem sie ihre Krankheit überwunden hat, ist sie wiedergekommen, um zu schauen, was sich verändert hat. Und mit dieser Idee im Kopf.
„Ich wollte sie fotografieren“, sagt die 27-Jährige. Sie, das sind die Patienten, die an Magersucht, Bulimie oder Übergewicht leiden. Aber aus eigener Erfahrung wusste Rebecca Sampson, dass man bei dieser Krankheit, die von einer verzerrten Selbstwahrnehmung und einer ständigen und schmerzhaften Auseinandersetzung mit dem eigenen Äußeren geprägt ist, alles braucht, nur nicht einen Menschen mit einer Kamera. Wie sehr sie sich doch geirrt hat.
„Aussehnsucht“ ist der Titel der Porträtserie aus Bad Oeynhausen. Mal stille, mal kraftvolle, aber immer schöne und in ihren stärksten Momenten fast zärtliche Bilder, für die Rebecca Sampson mit dem Preis „gute aussichten – junge deutsche fotografie 2010/2011“ ausgezeichnet wurde. Bilder, die den Menschen zeigen. Erst später entdeckt man die Krankheit, den Patienten in diesen Menschen. Ab kommenden Dienstag werden ausgewählte Bilder aus der Reihe „Aussehnsucht“ im Waschhaus zu sehen sein.
„Ich habe mich vorgestellt und den Leuten erzählt, dass ich sie gern fotografieren möchte“, sagt Rebecca Sampson. Sie hatte keinen Plan, kein Konzept. Alles sollte ganz offen sein. Wer mitmachen wollte, sollte sich nur einen Ort aussuchen, an dem die Aufnahmen stattfinden. Eine Art Lieblingsort, der irgendwie auch den Stand der Auseinandersetzung mit der eigenen Krankheit reflektiert. „Ich hatte gehofft, dass vielleicht vier oder ein paar mehr mitmachen würden“, sagt Rebecca Sampson. Am Ende waren es 49.
Da ist das Mädchen mit den dunklen, zerzausten Haaren, darin ein welkes Blatt hängt. Da ist der nackte, so dünne, so zerbrechliche Rücken, unter dessen Haut sich die Wirbelsäule spannt. Da ist das Mädchen, das sich im Mantel seiner Mutter versteckt. Und da ist der Mann im Schwimmbad, der in sich versunken am Beckenrand ruht.
Drei Wochen hat Rebecca Sampson in Bad Oeynhausen verbracht. Fotografiert und geredet, geredet und fotografiert. Eine extreme Zeit, wie sie sagt. Aber das sei ihre Art zu arbeiten. In Göttingen geboren, hat sie ihr Handwerk bei „Fotografie am Schiffbauerdamm“ und der Ostkreuzschule in Berlin gelernt. „Ich will immer mittendrin sein“, sagt sie. Und das sie wissen müsse, worum es geht. Denn sonst bringt es nichts.
Dass sie selbst einmal als Patientin in Bad Oeynhausen war, hat ihr natürlich den Zugang erleichtert. „Als ich damals in der Klinik war, habe ich auch immer auf jemanden gewartet, der kommt und mir zeigt, dass man es schaffen kann.“ Nicht jemand, der nur redet und sagt, dass man schon wieder gesund wird, sondern es durch die eigene Anwesenheit, die eigene Geschichte beweist. Und so hat Rebecca Sampson viele Gespräche geführt, hat von sich erzählt und so oft gesagt, dass man es schaffen kann.
Dann erzählt Rebecca Sampson von diesen Krankheiten. Von den Vorurteilen und Klischees, die noch immer so stark sind. Dass es nicht hilft, zu einem Mensch, der viel zu dick ist, zu sagen, er soll weniger essen. Oder gar, dass er selbst schuld daran sei. „Wenn da einer drei Torten am Tag isst, weiß er, dass das falsch ist. Aber er kann nicht anders.“ Sie erzählt von den Magersüchtigen, für die jedes Gramm weniger ein Sieg ist. Die irgendwann nur noch Wasser trinken, um einen Brechreiz zu erzwingen. Sie erzählt vom ständigen Blick der Magersüchtigen in den Spiegel. Und das nur ein einziger gegessener Keks innerhalb von einer halben Minute das Selbstbild im Spiegel massiv verändern kann. Rebecca Sampson spricht nicht vorwurfsvoll oder anklagend. Sie spricht ganz sachlich. Aber mit einer Eindringlichkeit, die einen einfach nur zuhören lässt. Und man staunt, wie viel man von ihr in nur einer halben Stunde lernen kann.
Es gab heftige Momente bei den Fotoaufnahmen. Immer dann, wenn bei einigen plötzlich die Gefühle ausbrachen. Rebecca Sampson spricht von einem regelrechten Auseinanderbrechen. Denn diese Essstörungen seien oft Ausdruck einer tiefen seelischen Verletzung. Und es folgt ein Rückzug, bei dem eine Gefühlsschicht von der nächsten überlagert wird. Bis alles verkrustet. All das hat sie festgehalten. Diese heftigen, aber auch die stillen Momente. Und wer durch Rebecca Sampsons Bilder auf die Welt schaut, sieht anders. Wahrhaftiger möchte man sagen. Weil da so viel Vertrauen und Verstehen, so viel Ehrlichkeit und Schönheit zu finden ist.
Vernissage von „Aussehnsucht“ am Dienstag, dem 1. November, 20 Uhr im Waschhaus in der Schiffbauergasse
Dirk Becker
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