
© M. Thomas
Kultur: Anklagendes und Ironisches
Jan Josef Liefers sang im Kutschstall-Innenhof
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Ja, ja, als Mutti damals zur Arbeit ging, war die Welt noch in Ordnung. Das Kind blieb zu Hause und machte die Stube rein. Auch die Heimat wurde geschätzt und besungen und das blaue Pioniertuch mit Stolz getragen. Wem die Texte dieser DDR-Kinderlieder in Vergessenheit geraten waren, der durfte sie Samstagabend im Potsdamer Kutschstallensemble noch einmal in voller Länge über sich ergehen lassen, denn Schauspieler und Musiker Jan Josef Liefers, aufgewachsen in der Prager Straße in Dresden und heute vor allem bekannt als Dr. Boerne aus dem Tatort, hatte entschieden, dass sie das Warm-up für seinen im Anschluss folgenden „Soundtrack einer Kindheit“ bilden sollten.
War das nun eine nostalgische oder eine ironische Geste des Entertainers? Die Frage sollte sich während der über zweistündigen Veranstaltung klären, die nicht nur eine persönliche, sondern auch eine kulturelle und musikalische Biografie beleuchten würde, die vor allem vom System DDR geprägt war. Ton- und Bilddokumente ließen Erich Honecker und Walter Ulbricht, „zwei Gespenster der Vergangenheit“, auferstehen, Videoschnipsel zeigten DDR-Alltag, Anekdoten zeichneten den Grundriss eines jungen Lebens, das solche Meilensteine wie den ersten Schultag, die erste Schuldisco mit Engtanz oder den ersten Gitarrenunterricht absolvierte und immer wieder auch von Ideologien und Propaganda gestreift wurde.
„Soldaten sind vorbeimarschiert“, Wehrunterricht, die „Aktuelle Kamera“ oder der „Schwarze Kanal“ und deren Erkennungsmelodien vom Band, die sogar für Liefers Hund zuviel sind. Die goldenen Regeln beim Abwurf einer Atombombe oder der sogenannte Lipsischritt als Antwort auf die enthemmende und aufputschende Wirkung des Rock’n’Roll.
Liefers ließ während seines Programms Anklagendes und Ironisches Hand in Hand gehen, wenn auch eher auf Unterhaltungsniveau. Die zahlreichen Gäste, überwiegend Generation 50+, sollten eine Reise in die Geschichte machen, die nicht allzu schwer auf den Schultern lasten würde, hatte der Künstler selbst doch lange Zeit Schwierigkeiten, sich in der eigenen DDR-Biografie zu verorten.
Wie war das denn damals? Tja, so Liefers, nicht schwarz und nicht weiß. Und weil er nie so richtig Antwort zu geben wusste, wählte er als seine Brücke in die Vergangenheit die Musik, die auch an diesem Abend immer wieder eine Verbindung zwischen dem Erzählen und dem Erzählenlassen bilden würde.
Ostbands wie die Puhdys, Renft oder Silly wurden zu neuem Leben erweckt, von Liefers und Band neu ausgelegt und untermauerten das Lebensgefühl eines jungen Mannes, das wohl stellvertretend für viele andere stand, die an diesem Abend in den Hof des Kutschstall gekommen waren, um mit auf Zeitreise zu gehen.
Ganz abnehmen mag man ihm die Rolle als Rockstar aber nicht. Viel zu sehr hatte der Künstler schon den Habitus des Schauspielers verinnerlicht, und so wirkten seine Gesten ein wenig zu groß, sein Musikerimage zu aufgesetzt. Das Outfit – schwarzes Jackett, dunkles Shirt und auf der Haartolle ein speckiger Hut – ließen an eine Neuinszenierung von Rio Reiser denken, doch an wirklicher Tiefe und Authentizität mangelte es Jan Josef Liefers, übrigens angereist mit Frau Anna und den Töchtern Lilly und Lola, die sich sichtlich wohlfühlten unter all den neugierigen Blicken. Künstlerfamilie als Gesamtkunstwerk sozusagen, wissen wir doch, dass Anna Loos nicht nur schauspielert, sondern auch die neue Frontfrau von Silly ist.
Er, ihr Ehemann, sollte vielleicht eher bei der reinen Verbalkunst bleiben, die ehrlicher wirkt. Herrlich kopierte Dialekte und pointiert erzählte persönliche Meilensteine machen aber auf jeden Fall Lust auf sein Buch „Soundtrack meiner Kindheit“ von 2010. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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