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Kultur: Anna erzählt

Im HBPG: Biografische Kunstinstallation

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„Solche wie dich wollen wir nicht, hatten sie gesagt, als Anna das erste Mal in einer schwedischen Schule hinter einem Katheder stand und die Ordnungsregeln vorlas“, steht auf einem knappen Stück Papier, historische Fotos daneben. Oder dies: „Franz trank viel. Anna weinte oft. Ohne Zukunftsperspektiven in Westberlin. Haltlos.“ Zwei Stationen aus dem Nomadenleben der gebürtigen Königsbergerin Dorothea, die seit ihrer Einbürgerung in Schweden den Familiennamen Bjelfvenstam trägt und nun im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) unter dem Pseudonym „Anna“ eine exklusive Personalausstellung im ausgebautem Dachgeschoss erhält.

An der Kurischen Nehrung wuchs sie 1933 auf, saß unter dem Flügel, wenn der Großvater Sonaten von Beethoven spielte, geriet dann 1944 im Rahmen der „Kinderlandverschickung“ ins erzgebirgische Oelsnitz. Zur Zeit des „Potsdamer Abkommens“ war sie in Potsdam zu Hause, ging Anfang der Fünfziger nach Westberlin weiter, Schweden dann ab 1954. Freilich zog es sie immer wieder an diese Lebensstationen zurück, auch mehrmals nach Potsdam. Noch in den späten Achtzigern zeigte sie einer schwedischen Schülergruppe gerade diese Stadt.

Auf einer Reise nach Kaliningrad lernte Dorothea Bjelfvenstam die heute in Berlin lebende Künstlerin Hanna Sjöberg kennen. Man beschloss, etwas „gemeinsam zu machen“. So entstand aus historischen Dokumenten, Familienfotos und den anrührenden Kurztexten der vermeintlichen Anna diese besondere Exposition. Obwohl sie bereits 2007 am Pregel, zwei Jahre später in Oelsnitz gezeigt wurde, ist sie keine echte Wanderausstellung. Jeder dieser Orte nämlich bringt Eigenes ein, und so ist diese Schau (ein paar Jahreszahlen fehlen) auch nirgends dieselbe. Das große Tableau in Weiß mit der Europakarte und die drei Doppeltische fürs Papierne mögen stets mitgereist sein, auch der TV-Film von 1959, darin Anna ihren Schweden die deutsche Teilung erklärt.

Nicht aber die Stadtkarte von Potsdam, nicht die von Voltaire-Schülern erdachte „Sonderausgabe“ einer Zeitung, nicht die Ton-Dokumente mit Adele Stolte-Iwer, Annelie Nowak und anderen „Zeitzeugen“ von damals. „Anna“ hat persönlich mit ihnen geredet, wie an den anderen Orten auch. Woran erinnert man sich, was fällt durch die Maschen der Zeit? Diese Frage interessiert auch die Wissenschaft im HBPG, welche die „künstlerisch-überformte“ Präsentation von „preußisch-deutscher-europäischer Geschichte“ begrüßt. Sie komme dem erklärten „Bildungsauftrag“ des ehrwürdigen Hauses sehr entgegen. „Das betont Fragmentarische“ an ihr sei „besonders interessant“, war zu vernehmen. Freilich könnte sie schon etwas Frühlingsgrün vertragen.

Je tiefer man sich mit dem Leben der Protagonistin beschäftigt, um so mehr eigene Erinnerungen steigen empor, hörte man unter den zahlreichen Besuchern. Der Titel „Eine europäische Odyssee“ freilich führt wohl eher in die Irre, denn von Ostpreußen aus gab es sicherlich ganz andere Irrfahrten, auch unfreiwilligere, als hier vorgeführt. Trau schau wem, wenn die Politik sich mit dranhängt!

So aber steht Klein-Anna mit weißem Kleidchen im Ostpreußischen unter den Erwachsenen, ihr Püppchen fest in der Hand. Sie schaut skeptisch ins Bild. Viel später wird sie erzählen, ein gewisser T. T. hätte sie mal nach Hause gebracht. Auf der großen Brücke, der Västerbron, küsste er sie, und tat mehr. „Sie dachte, nun sei sie schwanger...“ Reichte das nicht, Zeit und Land zu beschreiben, in einem einzigen, sehr langen Leben?Gerold Paul

Gerold Paul

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