Kultur: Antike Mythen vertanzt von modernen Narzissen
Unidram: „Mamcallas“ und „Finita la Commedia“
Stand:
Unidram: „Mamcallas“ und „Finita la Commedia“ Es bleibt mythisch beim Theaterfestival „unidram“. Die Tanzinszenierungen „Ist light body“ des Franzosen Pierre Nadaud von der tschechischen Gruppe „Mamacallas" und „Medusa Piercing" mit dem Ungarn Ferenc Fehèr von der Budapester Gruppe „Finita la Commedia" versprechen in den Vorankündigungen Bezug auf die antike Sagenwelt zu nehmen. Der ausgebildete Philosoph, Nonverbales Theater studierte und heute in Prag wirkende Pierre Nadaud fantasiert auf einer leeren Bühne die verstörende Begegnung eines jüngeren Mannes mit einem Kind. So weit wie möglich voneinander wegsitzend auf zwei sich gegenüber stehenden Stuhlreihen treffen sich die Augen der Protagonisten. Die Blicke des Mannes signalisieren verschämte Sehnsucht nach Nähe, die in der Darstellung von Pierre Nadaud manchmal beängstigend pädophil daherkommen. Aber das ist natürlich so nicht gemeint. Das Mädchen, wunderbar durchgehalten mit unverbrauchtem Staunen, berückender Gleichmut und ahnungsloser Seelenruhe von Aglaja Sprengel, beginnt mit der Figur von Pierre Nadaud in stiller Übermut ein unverfängliches Spiel, das der Mann erst widerwillig und genervt aufnimmt. Einmal mitgespielt, verliert er sich dann darin bis zur vermeintlichen Blamage. Stühle werden verrückt und beiseite geräumt zu immer neuen Anordnungen. Die beiden scheinen sich trotz des Verringerns der räumlichen Distanz nicht wirklich näher zu kommen. Das Verhältnis bleibt merkwürdig kühl. Das mag auch daran liegen, dass Aglaja Sprengel nie wirklich zu einer wirklich ernst zunehmenden Partnerin auf der Bühne werden kann. Dazu sind ihre künstlerischen Mittel nun einmal zu beschränkt. Sie bleibt bei aller aufgewendeten Mühe oft nur ein eher unterbelichteter „Stichwortgeber" für die ausgedehnten, eher narzisstisch anmutenden Tanzakte des Pierre Nadaud. Aglaja Sprengel - laut Programmheft die „Ariadne, die „Reine", die selbst noch nach dem Faden sucht" - verliert sich deshalb nicht selten auf der Bühne neben dem französischen Tänzer. Nardaud ist in seinem artistischem Können und seinem tänzerischen Bewegungsvokabular durchaus ansehenswert. Höhepunkt des Stückes ist sein Kampf mit dem Wasserglas. Wer das Programmheft vorher überflogen hat, schlägt sich irgendwann ungläubig an die Stirn: Das ist das Aufeinandertreffen mit dem Minotaurus, jenem schrecklichen Zwitterwesen aus Mensch und Stier. Aber auch dieser schnurrige Einfall verspielt sich mit stark gebremstem, launigem Esprit. So entwickelt die Inszenierung von Pierre Nadaud über weite Strecken eine leimige Infantilität, die so gar nichts mit einer berückenden Kindlichkeit zu tun hat, dessen Kultivierung in der Kunst ein probates Mittel ist. Die 50 Minuten Aufführung werden einem so mit der Zeit einigermaßen lang. Auch das halbstündige „Medusa Piercing“ mit Ferenc Fehèr in der Choreographie von O. Caruso zerdehnt sich zum Ende hin - wenn auch rhythmisch aufgeheizt - ohne neue szenische Einfälle. Doch der Anfang ist furios. Vom kahlrasierten Kopf bis zum geschienten Fuß rabenschwarz geschminkt bewegt sich der Tänzer zu rockig-drängenden Musiken wie ein Automat in Menschengestalt auf den Brettern, die von einem endlosem Videoclip beleuchtet werden. Aus dem genüsslich schwelgenden Projektionen von wundervoll langsam ziehenden Wolken werden zuerst Störungen, um dann zu einem Sturzbach strudelnde Bilder anzuschwellen: Straßenzüge, Autostraßen, Schaufenster, Operationsbilder von offenen Herzen und immer wieder Mädchengesichter. Ergötzend verweilt wird bei dem Bild eines emaillierten Beckens mit Ausguss, in den verwässert Blut rinnt. Der Tanz des Ferenc Fehér als Präsentation der Schönheit des eigenen Körpers ist eine Feier für Augen. Auch hier lässt wieder ein antiker Mythos grüßen: Narziss. Der schwarze Mann in all seiner tänzerischen Kraft und Perfektion bleibt zu schön, um Schmerzen, Qual und Verwirrung wirklich sinnfällig wahr werden zu lassen. Aber wenn Fehèr in animalischer Inbrunst zum Vieh wird, flugs krabbelt wie ein Insekt, geschmeidig schleicht wie ein Panther oder sich aasig schlängelt wie eine Echse, dann hat er seine höchsten künstlerischen Momente. Warum er unbedingt zu einem zweiten Teil angetan mit schwarzer Lackhose, schwarzem Hemd und schwarzen Schuhen auflaufen muss, bleibt im Dunkeln, denn künstlerisch hat er zu seinem ersten Teil wirklich nichts hinzuzufügen. Nach einer Viertelstunde hat einem die laute Musik und der flimmernde Videoclip die Sinne zugehämmert. Sehnsucht nach Ruhe und Langsamkeit beginnt zu wuchern. Für beide Aufführungen gab es reichlich freundlichen Applaus. Frank Jast
Frank Jast
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: