Kultur: Anwesend
Gregor Sander liest heute im Literaturladen
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Fast hätte man diesen schmalen Roman übersehen. Aber zum Glück gibt es Menschen, die ein Buch empfehlen, in dem sie es einem mit dem kurzen Satz: „Lies einfach mal rein“ in die Hand drücken. Mehr Worte braucht es nicht, wenn ein Text für sich spricht. Gregor Sanders 150 Seiten kurzer Roman „Abwesend“ ist so ein Text. Heute kommt Sander in den Literaturladen Wist, um dort aus seinem neuen Roman zu lesen.
Im so genannten Jahrhundertsommer 2003, reist Christoph Radtke in „Abwesend“ für zwei Wochen in seine Heimatstadt Schwerin, um sich dort um seinen im Sterben liegenden Vater zu kümmern. Nach einem zweiten Schlaganfall ist der nur noch eine „lebende Hülle“, nicht mehr ansprechbar, nicht mehr zu erreichen. Radtkes Mutter hat eine junge Bulgarin eingestellt, die die Pflege des Vaters übernimmt. Und so kann der 32-jährige Christoph trotz seiner Anwesenheit versuchen, den Abstand zu seinem Vater aufrecht zu erhalten, der sein ganzes Leben, im Grunde das gesamte Verhältnis der Familie wie etwas Unbewusstes prägt. Denn jeder, ob seine Schwester, sein alkoholkranker Bruder, seine Mutter, Christoph selbst und auch sein Vater, alle waren und sind sie wie abwesend. Sie scheinen sich nur nahe sein zu können in einer gewissen Distanz. Doch in den zwei Wochen in Schwerin muss Christophs Versuch scheitern, diese gefühlsmäßige Abwesenheit aufrecht zu erhalten.
Gregor Sander, in Schwerin geboren und der mit „Ich aber bin hier geboren“ 2002 sein Debüt als Schriftsteller gab, greift mit „Abwesend“ ein bekanntes Motiv auf. Ein uns nahe stehender Mensch ist, durch Krankheit oder Tod, nicht mehr zu erreichen. Mit dem plötzlichen Verlust einher geht die Erkenntnis, dass so viele Fragen offen bleiben müssen, die wir gern noch gestellt hätten.
In „Abwesend“ ist es eine Affäre seines Vaters, von der Christoph durch Zufall erfährt, die ihn zwingt, sich mit dem Vater und auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dafür tritt Christoph ein räumliche und zeitliche Reise an, die ihn irgendwann dazu bringt, seine Sprachlosigkeit gegenüber seinem Vater zu überwinden.
Sander erzählt einfach nur. Und dieses „einfach nur“ zeichnet diesen schmalen Roman aus. Er greift hier nicht die ewige Suche nach dem großen Wenderoman auf, versucht nicht die Geschichte in Überkonstruktion, dem Alles-Wollen, dem Überambitionierten zu ersäufen. Gregor Sander verlässt sich in „Abwesend“ auf die Geschichte. Er verlässt sich auf die Kunst, einfach zu erzählen. Und erzählen kann Gregor Sander. Dirk Becker
Gregor Sander liest heute, um 20 Uhr, im Literaturladen Wist, Dortustraße 17,
Dirk Becker
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