Kultur: Apostelspuren
Sigrid Grabner sprach in der Arche über Paulus
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Viel ist eigentlich nicht geblieben von den drei großen Missionsreisen des Völkerapostels Paulus vor etwa zweitausend Jahren. Man findet seine Spuren weder auf den alten Hochpfaden Anatoliens noch in den Städten Kleinasiens am Meer. Etliche der von ihm berührten Orte sind heute unbewohnt, touristisch durchorganisiert oder es gibt sie nicht mehr, so wenig wie ein „christliches Kleinasien“ zwischen Mysien und Cilicien. Wenn man außerhalb des Paulinisch/Petronischen Schriftkanons und der Apostelgeschichte so gut wie keine Zeugnisse seines Wirkens mehr findet, war Paulus dann wirklich ein erfolgreicher Missionar? „Die Kirche“ zweifelt da nicht, 2008 rief man in Rom das „Paulusjahr“ aus. Im gleichen Jahr war auch die Potsdamer Schriftstellerin Sigrid Grabner in Sachen Paulus unterwegs. Mit einer Reisegruppe durchquerte sie die Türkei auf etwa 2300 Kilometer.
Spurensuche von seiner Heimatstadt Tarsus bis hin nach Ephesos und Milet – irgendetwas muss man doch sehen auf dieser „absichtslos angetretenen“ Fahrt. Ihr recht persönlich gehaltener Reisebericht eröffnete am Dienstag im vollbesetzten Vortragsraum das neue Jahr der „arche“.
Natürlich gab es zu all den besuchten Stätten auch etwas zu sagen. Antiochia, bis 1939 syrisch, bekannt für Hedonismus, eine Daphne-Quelle, Ignatius wurde hier den Löwen vorgeworfen. Refugium auch für die verfolgten Apostel, nur ist das zu lange her, „nichts erinnert an seine christliche Geschichte“. Fünfzehn Kilometer weiter Seleukia, wo Paulus zu seiner ersten Missionsreise nach Cypern aufbrach, hier ein Berg, und ein großes Erstaunen: „Musadag!“ stieß der türkische Reiseführer unwillig hervor, Musils „Mosesberg“ mit der armenischen Leidensgeschichte hier? Schade, Sigrid Grabner konnte nicht mehr erfahren, denn der sie begleitende Türke schwieg verbissen.
Tarsus, Geburtsstadt des Paulus zwischen 7 und 10 n. Chr., Stadt der Zeltmacher, der auch er einer war. Hier zeigt man „sein“ Haus, einen Paulus-Brunnen, wohl eher der Touristen und des lieben Geldes wegen. Außerhalb dessen hat die angeblich säkularisierte Türkei so gut wie kein Interesse, uralte Christen-Stätten zu pflegen, meinte die Autorin. In Lystra und Derbe sind ja all seine Spuren verweht. Im pisidischen Antiochia kursierte einst das göttliche Wort aus dem Munde des weitgereisten Paulus, dann eine kleine Messe unter freiem Himmel im alten Ikonion, obwohl öffentliche Gottesdienste im Türkenland verboten sind. Ephesos und Milet im westlichen Kleinasien versandet. Was dort geschah, liest man in der „Apostelgeschichte“ nach, die Landschaften geben’s ja nicht heraus. Vielleicht, sprach Sigrid Grabner nachdenklich, ist alles noch so wie zu Paulus Zeiten: vergangen und gegenwärtig zugleich. Heidnische Alltäglichkeit, fremde Sitten, Amüsement und Geldbetriebsamkeit in ganz Kleinasien – und dann kommt einer daher, glatzköpfig, krummbeinig, mit zusammengewachsenen Augenbrauen, dazu noch vom Saulus zum Paulus gewendet – und weiß alles besser. Auch heute wäre dieser jüdische Zeltmacher römischer Staatszugehörigkeit ein Ärgernis. Er ist es, und bleibt also nach zweitausend Jahren „lebendig“, man lese nur nach, was er über Frauen und Männer schrieb. All diese Dinge auf eine sehr liebevolle Weise berührt und angestoßen zu haben, dürfte das Verdienst von Sigrid Grabner gewesen sein.Gerold Paul
Gerold Paul
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