Kultur: Auch abends ist was los
Das Kinder- und Jugendtheater erweitert sich zum „Jungen Theater“: die „Ü 20“ dabei fest im Blick
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Wie lockt man die Über-20-Jährigen ins Theater? Andreas Steudtner hat dazu viele Ideen. Zuallererst muss ein lockerer Rahmen her, fernab vom roten Vorhang – in dem man auch mal beim preiswerten Bier abhängen kann. Dazu junge Geschichten über aufstrebende Menschen, die sich auf die Zukunft stürzen und dabei scheitern oder nicht. Und auch der Blick für elektronische Medien muss sich schärfen, als möglicher Partner einer Theater-Liaison.
Ab September soll das Konzept greifen, an dem der Noch-Dramaturg und künftige Leiter des „Jungen Theaters“ bereits mit verschiedenen Partnern intensiv tüftelt. Die Zeit, dass die Reithalle A fast nur an den Vormittagen bespielt wird, gehört dann der Vergangenheit an. Das Kinder- und Jugendtheater als Musterknabe in der Auslastung werde sich in seinem inhaltlichen Anspruch jedoch nicht verändern, sondern nur erweitern. „Durch den Neubau ist das Theater enger zusammen gerückt und das Schauspiel hat jetzt eine ähnlich hohe Auslastung wie wir. Doch die Zuschauer zwischen 20 und 40 sind noch immer sehr wenig vertreten. In den Schulen gibt es die Abonnements, doch sobald Lehre oder Studium beginnen, scheint das Theater für viele in weite Ferne zu rücken.“ Jetzt, wo aus der toten Ecke Schiffbauergasse ein charismatischer Ort geworden ist, hofft Steudtner, auch die „Ü 20“ für das Theater zu erwärmen. Doch dazu müsse man ihren Nerv treffen. „Durch meine Erfahrungen wähle ich bestimmte Stücke aus, von denen ich denke, dass sie Jugendliche gern erzählt bekommen. Doch ich kann auch falsch liegen“, so der 49-Jährige. Deshalb holt er sich Beistand vom Theater-Jugendklub, der künftig noch aktiver im Spielplan mitmischen wird. Auch andere Jugendliche, die bislang nicht zu den großen Theaterfreaks zählen, sollen animiert werden, selbst aktiv aufzutreten. Immer freitags können sie sich beim „Open Space“ austoben: dem freien Platz fürs Impro-Theater. Dazu sollen Mannschaften an der Fachhochschule und Universität rekrutiert werden. „Wir stellen an den Einrichtungen Trainer für die Proben zur Verfügung. Zum ,Freundschaftstreffen“ kommen die Spieler dann zu uns ins Haus: Das Publikum gibt Stichworte und die Mannschaften bauen daraus Geschichten“, hofft Andreas Steudtner, der seit sieben Jahren als leitender Dramaturg am Hans Otto Theater arbeitet und im September die Nachfolge Philippe Bessons als Chef des Kinder- und Jugendtheaters antritt.
Nicht nur am Freitag soll die Reithalle A bis in den späten Abend hinein belebt werden. An drei bis fünf Vorstellungen in der Woche ist gedacht, wenn möglich jenseits tradierter Formen. Auch Lesungen mit Musik vom Plattenteller wird es geben.
„Während für 6-Jährige wenig gute Literatur zu finden ist, mangelt es an Textangeboten junger Autoren für ihre eigene Altersgruppe keineswegs. Allein wenn man sich an die Sektion Szenisches Schreiben der UdK Berlin wendet, sprudelt die Quelle.“ Viele theatrale Angebote auf nur einer Bühne zu vereinen, bedeute auch eine neue Logistik. „Wir bauen eine Bühnenlandschaft in die Halle, die dann von den neun Produktionen der kommenden Spielzeit genutzt wird. Das heißt, dass das Stück für die Kleinen am Vormittag im gleichen Bühnenbild stattfindet wie das am Abend für die Großen.“ Allein durch Umstellen der Sitze sollen neue Perspektiven geschaffen werden. Entworfen wird diese multifunktionale Erlebniswelt von Matthias Schaller, der zuletzt „Effi Briest“ und „Sicherheitsabstand“ im neuen Theaterhaus ausstattete.
Dieses Einheitsbühnenbild ist natürlich eine Herausforderung für jeden Regisseur, denn er muss sich auf die vorgegebene Ästhetik einlassen. Auch Andreas Steudtner wird mit Jugendlichen Stücke erarbeiten: „So wie ich es vor meiner Potsdamer Zeit oft tat, im Kreuzberger Jugendkulturzentrum ,Schlesische 27“ ebenso wie an der Schauburg München.“ In Potsdam habe er sich als „Fachregisseur für Tiermärchen“ ausgewiesen, witzelt er: „Flusspferde“ und „Die Kuh Rosemarie“ tragen seine Handschrift. Um das steigende Arbeitspensum zu packen, setzt Steudtner auf ein engagiertes Team. Dazu sollen die fünf bestehenden Stellen künftig fest besetzt werden. Bislang sind nur Peter Wagner und Jenny Weichert ans Haus gebunden. In die anderen Rollen schlüpften bislang freiberufliche Schauspieler. Auf der abendlichen „Spielwiese“ können sich auch Kollegen vom Schauspiel mit Regieambitionen tummeln. „Wir wollen viel aus eigener Kraft packen.“ Wenn der Stabwechsel zum Herbst vollzogen ist, wird sich Andreas Steudtner für den geräumten Dramaturgenstuhl junges Blut holen. „Man muss zu seinem Alter stehen, gerade wenn man mit jungen Leuten zu tun hat. Das heißt ja nicht, dass man im Geist nicht mehr beweglich ist.“ Seine gerade geborene Tochter Lotte wird sicher mit dafür sorgen, dass er auch künftig nicht so schnell Rost ansetzt. Ein Wechsel ins „große“ Schauspiel interessiert den erfahrenen Theatermann nicht. „Inzwischen bin ich ein ,Fachidiot“ und ich genieße die größere Offenheit für Experimente, die das Kinder- und Jugendtheater bietet“: Und das „Junge Theater“ vielleicht noch mehr.
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