
© Göran Gnaudschun
Hans Otto Theater Potsdam: Auch Erwachsene lernen im Kindertheater
Im Theater für Kinder können auch Erwachsene so einiges lernen, das zeigte die Premiere von „Mein Jahr in Trallalabad“ in der Reithalle des Hans Otto Theaters.
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Potsdam - Bücher, Filme, Theaterstücke – erzählende Kunst für Kinder und Jugendliche ist seit geraumer Zeit en vogue. Derzeit gerade hierzulande vielleicht so en vogue wie nie zuvor. Die Sparte boomt. Dafür muss es Gründe geben. Und die gibt es. Das Theaterstück „Mein Jahr in Trallalabad“ von Thilo Reffert, das am Mittwoch in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere feierte, führt sie nahezu modellhaft vor. Genuss und Erkenntnisse fallen dabei nicht nur für die Zielgruppe der Kinder ab neun Jahre aufwärts an. Erwachsene respektive Eltern können entspannt mit ihren Sprösslingen ins Theater gehen, um gegebenenfalls etwas darüber zu erfahren, wie ihr Kind tickt. Was ihre pädagogische Leistung wert ist. Oder wie sich ihr Lebensstil definiert. Eines haben viele dieser erzählerischen Stoffe für Kinder gemein, sie behandeln die Defizite von sozialen Einheiten und pumpen Mut in die Venen der gebeutelten Kinder, die da aus Scheidungsehen, Patchworkfamilien oder intakten Familien kommen, welche sich bei genauerem Hinsehen mitunter als Schreckgespenster entblößen, weil der Preis für die Idylle hoch ist und auf Seiten der Eltern in Überstunden, dauerhafter Arbeitsbereitschaft und fortwährendem Kommunizieren besteht.
Die Story ist denkbar kurz. Emilia steht am Flughafen, um mit ihren Eltern in ein asiatisches Land zu reisen. Als Ausführende des Transfers von Schwerindustrie sollen sie ein Werk aufbauen, das hier, in der Heimat Deutschland, zuvörderst abgebaut wurde. Doch weil sie gänzlich von ihrem Business aufgefressen sind und zeitgleich an mehreren Telefonen hängen, verpassen sie schlichtweg, ihre Tochter ins Taxi zu setzen. Dass Emilia überhaupt am Flughafen ankommt, verdankt sie ihrem Freund Renzo, genauer dessen italienischem Großvater, der nolens volens bereit stand, das jähe Versäumnis der Eltern zu berichtigen und sie zu fahren. Wir verstehen bereits, worauf aus Sicht des Autors die Schwierigkeiten des Reiseantritts hinauslaufen, auf ein Plädoyer für die Familie. Entweder hätten die Eltern sorgsamer und liebesfähiger handeln müssen. Und wenn schon nicht das, dann wäre wenigstens der eigene Großvater wünschenswert gewesen. Familie also, Großfamilie.
Wie drastisch darf das Theaterstück soziale Verwerfungen zeigen?
Die Zeit des Wartens überbrückt Emilia, gespielt von Lea Willkowsky, mit der Erinnerung an die letzten Tage. Besser daran, wie sie ihren beiden besten Freunden Linus und Renzo erklären musste, dass sie für ein geschlagenes ganzes Jahr verreisen würde, nach Trallalabad in Muvistan oder so ähnlich. Die hierbei entstandenen Turbulenzen sind von der Regisseurin Marita Erxleben, die ihre Ausbildung als Tänzerin und Choreografin in Berlin und New York erhielt, mit leichter Hand in Szene gesetzt, was schon deshalb eine Note wert ist, weil die oft diskutierte Frage mitschwingt, was welcher Altersgruppe zugemutet werden darf. Oder anders formuliert: Wie begegnen sich erwachsene Kunstproduzenten und kindliche Konsumenten? Wie drastisch dürfen soziale Verwerfungen gezeigt werden? Kinder sind seltsamerweise für Frau Holle genauso empfänglich wie für einen für eine junge Zielgruppe gemachten Film über ein an Krebs erkranktes Kind. Sie können sich unter- wie überfördert fühlen. Produzenten oder Eltern bieten Verhaltenscodes an, die sie erkennen, annehmen oder ablehnen müssen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Streit die Voraussetzung für alles ist, was folgt. Doch um richtig streiten zu können, braucht es die richtige Kinderstube, die da in etwa so geht, wie Renzo es formuliert: „Tür auflassen ist schon geil ... Ich meine im Sinne von beruhigter.“
Das Leben ist und bleibt eine Herausforderung
So nimmt in Emilias Erinnerungsschleife der Disput zwischen den drei Freunden seinen Lauf, ganz in dem Sinne, wie Erwachsenwerden vor dem Hintergrund zerfallender Familien funktioniert. Aus Angst, lieblos zurückzubleiben, weil seine Mutter von ihrem neuen Freund ein Kind erwartet, verfällt Johannes Heinrichs alias Linus in Panik und macht daraus Emilias Angst. In diesem Trallalabad würden Nacktschnecken und gebratene Bananen gegessen. Und überhaupt kriechen da ganz schreckliche Würmer aus dem Wasserhahn, um zur quasi tödlichen Bedrohung zu werden. Die Pegida-Angst vor Überfremdung wird als Paradeversion der eigenen Projektion gezeichnet. Und auch schon im Kindesalter zeigt sich, dass Glück immer das Glück der Anderen ist. Emilia träumt von Renzos italienischer Großfamilie, während sich herausstellt, dass Renzos Vater in Wahrheit in Italien lebt und zwischen Vater und Sohn kein Verhältnis besteht. Davide Brizzi, der bereits in „Frühlings Erwachen! (Live Fast – Die Young)“ mit von der Partie war, gibt hier als Renzo vor, Italienisch zu können und wiederholt in Wahrheit nur die Speisekarte. Die Lüge fungiert im Dienst der Freundschafts- und Liebeswerbung. Nur das kittet den sozialen Riss – Nähe und Liebe also, Freunde und Freundschaft.
Gäbe es eine Quintessenz zu formulieren, dann müsste sie heißen: Das Leben ist eine Herausforderung. Dies müssen die Erwachsenen lernen, und zwar immer wieder. Und diesem Lernprozess müssen sich auch die Kinder aussetzen, wenn sie groß und stark werden wollen. Und das wollen sie in der Regel. Vielleicht ist am Ende nicht immer alles so schlimm, wie es die German Angst uns, uns Erwachsenen und Kindern, einredet. Vielleicht ist es sogar viel besser. Oder wie Renzo rückblickend über seine Italien- und Auslandsaufenthalte resümiert: „Halb so schlimm ist doppelt schön.“
„Mein Jahr in Trallalabad“ ist in der Reithalle, Schiffbauergasse, am heutigen Donnerstag um 10 Uhr sowie am 4. März um 14 Uhr wieder zu sehen.
Ralph Findeisen
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