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Kultur: Auch Kirche auf Neuendorfer Anger ist von Hesse

Forschungsgruppe um Andreas Kitschke bringt Neues über Architekten Ludwig Ferdinand Hesse zutage

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Forschungsgruppe um Andreas Kitschke bringt Neues über Architekten Ludwig Ferdinand Hesse zutage Von Erhart Hohenstein Millionen Touristen erreichen den Park Sanssouci durch das Grüne Gitter. Rechts davon öffnet sich die kleine, von zwei Kinderfiguren geschmückte Pforte zum Komplex der Friedenskirche. Beim Durchwandern des Marlygartens fällt dem Besucher eine weiß-blaue Glassäule auf, gekrönt von einem Mädchen mit Papagei. An der Großen Fontäne angelangt, kann er sich auf einer der acht Marmorbänke ausruhen und einen Blick auf die italienischen Brunnenwände mit den davorgestellten Wannen werfen. All diese Kunstwerke sind von eigenem Reiz und unverzichtbar für den Park. Und alle stammen sie von Ludwig Ferdinand Hesse (1795 - 1876). Der Architekt und königliche Hofbauinspektor, der Hunderte Bauten, darunter auch monumentale, für Potsdam und Berlin entworfen oder zu Ende geführt hat, war lange Zeit im Gegensatz zu seinem Vorgänger Ludwig Persius fast vergessen. Das soll nun anders werden. Eine Forschungsgruppe um Andreas Kitschke, der namhafte Kunsthistoriker der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten angehören, bringt Licht in das Dunkel um Leben und Werk Hesses. Die Ergebnisse ihrer Spurensuche will sie in einem repräsentativen Werk veröffentlichen, das von der Stiftung herausgegeben wird. Den Anstoß zu den Forschungen hatte Gottfried Kunzendorf gegeben. Der frühere Bornstedter Pfarrer lernte vor einem Jahrzehnt während eines Urlaubs in München Luise L. Hesse kennen. Gemeinsam mit der inzwischen über 80-jährigen Ururenkelin des Architekten brachte er die Forschungen auf den Weg. Über den Stand gab Andreas Kitschke in einem URANIA-Vortrag Auskunft. Zu den interessanten Ergebnissen zählt der Nachweis, dass das jetzt wieder aufgebaute neogotische Kirchlein auf dem Neuendorfer Anger von Hesse und nicht von Ziller stammt. Die von König Friedrich Wilhelm IV. vorgegebene Entwurfszeichnung fand sich nämlich im Nachlass Hesses, und daraus schlussfolgerte die Ururenkelin dessen Autorenschaft. Tatsächlich fand Kitschke Bauakten auf, die diese Ansicht bestätigen. Im Gegensatz zu dem sanften und taktisch geschickten Persius rieb sich sein Nachfolger fast ständig am König, der als (unbestritten geniales) Architekturtalent in seine Entwürfe eingriff. Mehrfach drohte ihm der Rausschmiss, so beim Bau der Neuen Orangerie, wo Ludwig Ferdinand Hesse durch die Gestaltung der Schlossräume seine Meisterschaft auch in der Innendekoration nachwies. Ein Beispiel für diesen Kleinkrieg ist die Einfügung des Heilbronner Portal in das Ensemble der Friedenskirche. Der Architekt hatte das herausragende Baudenkmal der Romanik 1828 auf einer seiner vielen Reisen in Nürnberg halb zerfallen als Eingang zu einem Brauereikeller entdeckt und dem König zum Ankauf vorgeschlagen. Der wollte aber nicht. Also ließ Hesse bei dem Berliner Keramiker Feilner eine Nachbildung aus Terrakotta anfertigen und Friedrich Wilhelm IV. als Geschenk anbieten. Der wollte es aber nicht annehmen. Der König war erst gut ein Jahr unter der Erde, da fügte der hartnäckige Hesse das Portal 1863 eben doch an der von ihm vorbestimmten Stelle ein. Und da steht es heute noch. Vielleicht waren diese Querelen ein Grund, dass Hesse kein Potsdamer werden wollte. Zeitlebens blieb er in dem vornehmen Berliner Haus Wilhelmstraße 100 wohnen, das er von seinem vermögenden Schwiegervater geerbt hatte. (Das 1945 kriegszerstörte Gebäude wurde in der Nazizeit als Sitz der Reichsführung SS genutzt.) Auch als der Architekt ab 1845 als Nachfolger von Persius vorwiegend in Potsdam tätig war, übernachtete er in einem Appartement des Stadtschlosses. Dass er wie in der Literatur immer wieder angegeben in der Dortustraße 39 ein Haus besaß, ist eine Verwechslung. Es gehörte seinem Sohn Rudolf, der von 1864-1869 Potsdamer Stadtbaurat war. Wie Rudolf arbeitete auch Carl Hesse zeitweilig für seinen Vater. Er hatte die Bauleitung u.a. für die Orangerie und das Belvedere auf dem Pfingstberg. Daraus ergeben sich für einzelne Bauten Zuordnungsprobleme, die ebenfalls durch die Forschungen geklärt werden sollen. Im März wird die URANIA zu einem von Andreas Kitschke geführten Stadtrundgang auf den Spuren von Ludwig Ferdinand Hesse einladen. Von Kanzel, Altartisch, Taufstein und Gruft der Friedenskirche über die Villa auf dem Winzerberg, seinem vielleicht gelungensten Werk, die Ensiedelei am Ruinenberg, Schloss Lindstedt, die jetzt zur Gaststätte bestimmte Zichorienmühle neben dem Theaterneubau Schiffbauergasse, das Hotel am Jägertor, Villen in der Weinberg- und der Bertinistraße, das Thiemann-Haus an der Friedrich-Ebert-Straße oder das alte Bornstedter Schulhaus bis hin zum Bayerischen Häuschen im Wildpark (in nur sieben Wochen gebaut, um die aus einen Bayernurlaub heimkehrende Königin Elisabeth zu überraschen) könnte er eine Fülle von Stationen haben. Die Handschrift Hesses ist u. a. an gedrungenen, relativ niedrigen Türmen, dicht aneinander gestellten, durch Säulen oder Pilaster getrennten Fensterbögen und offene Loggien zu erkennen. Allerdings haben seine schlicht proportionierten Bauten nach 1871, als mit dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich und der Gründung des Kaiserreichs der „Gründerboom" einsetzte, durch die zu Geld gekommenen Eigentümer vielfältige stilwidrige „Aufschmückungen“! erfahren. Der alte Hesse muste das noch mit ansehen. Der „Potsdamer“ Hesse ist übrigens nur die eine Hälfte. Seine größten und prachtvollsten Bauten errichtete er in Berlin. Sie werden dem Publikum durch die URANIA im Herbst präsentiert.

Erhart Hohenstein

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