Von Gerold Paul: Auch mal für die Obrigkeit
Stephan Krawczyk in der Villa Schöningen
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Nachdem ein paar offizielle Herren in schwarzen Anzügen an der Skulptur der Glienicker Brücke ein paar ernste Reden geredet und Kränze niedergelegt hatten, begann gegenüber, im Skulpturengarten der Villa Schöningen, am frühen Freitagabend ein Open-Air-Konzert mit dem Ex-Dissidenten Stephan Krawczyk. Beider Anlass war das Gedenken an die Maueropfer am 49. Jahrestag des Mauerbaus am historischen Ort.
Mehr als 100 Besucher mochten zu Krawczyk gekommen sein, auch Ex-Bundespräsident Horst Köhler und Gattin, mit dem sich der Solist 2009 im Schloss Bellevue angelegt hatte: Als etliche „DDR-Bürgerrechtler“ das Bundesverdienstkreuz erhalten sollten, stimmte er nicht die erwünschte dritte Strophe der Nationalhymne an, sondern die erste. Dafür hat er sich aber entschuldigt. Nun waren beide wieder da, im Garten, bei etwas Regen, nicht so schlimm. Es gab dann die alten und neuen, die politischen wie unpolitischen Lieder des 1955 in Thüringen geborenen Künstlers.
Bratwurstdunst lag in der Luft, Plebejerkost zum Tag des Mauerbaus, nicht etwa zum Jubiläum ihres Falls! Der Affront der Strophe mit der Memel bei Horst Köhler zeigte, was noch immer in dem Provokanten Krawczyk steckt, diesmal verkniff er sich dererlei Stänkerein aber. Einst war er ja eine weitbekannte Adresse für „Widerstand“, heute ist er eher eine für gute Unterhaltung fast ohne Schmerz und Wehe, wenn man ein paar Piekser wider den Sprachverfall oder das Konsumdenken mal seitab lässt. Er hat eine „poetische Ader“, kann wunderbar Lieder machen singen, ist und bleibt dabei aber immer der von damals. So rief man ihn in die Villa, von sich und von einst zu erzählen. Als der Himmel aus allen Wolken fiel, begann er seine gleichnamige Autobiografie zu schreiben, darin geschrieben steht, mit wie viel Rotz in der Nase man 1988 ausreiste und wie er von den Westmedien postwendend instrumentalisiert wurde.
„Ohne Freya Klier hätte ich die Zeit in der DDR nicht durchgestanden“, sagte er, und spielte auf Wunsch noch mal das Lied von „Marie“. Er freue sich, zu diesem Anlass hier auftreten zu dürfen, habe deshalb sogar seinen Urlaub unterbrochen. Na alle Achtung! War aber Graf Chic damals groß und die DDR ziemlich klein, so scheint es im vergrößerten Deutschland fast umgekehrt zu sein. Krawczyk wird zwar immer noch als Protestsänger und Buchautor gebucht, doch außerhalb des Präteritums gibt es für ihn wohl kaum noch etwas zu dissidieren, jedenfalls hörte man nichts. 90 Minuten memorierende Besinnlichkeit, paar Lebensweisheiten über Augenblick und Ewigkeit, hübsche Lieder von Eskimos und Söhnen, auf Gitarren und Bandoneon begleitet.
Alles war sehr kultiviert und freundlich, das tat, vom satirischen „Soßenlied“ abgesehen, gar nicht weh. Nicht mal dem Bundespräsidenten a. D. Wie um zu hindern, dass ihm jemand mit den Sachen von damals käme, sang er davon, dass „die Weichen heute gestellt“ würden und ihn „ein jeder Tag verwandle“. So spielt er eben auch mal vor und für die Obrigkeit. Perfekt: Jetzt ist er ist wirklich angekommen.
Gerold Paul
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