Von Lena Schneider: Auch Tote wollen leben
Eröffnung von Unidram setzte auf Impulse aus dem Jenseits und diesseitigen Bühnenzauber
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Noch bevor es am Auftaktabend der 17. Ausgabe von Unidram am Freitag ums Theater ging, ging es um Liebe. Und um Wunder. Es bereitete Unidram-Mitbegründer Thomas Pösel sichtliches Vergnügen, in seiner Begrüßung von einem kleinen Wunder berichten zu dürfen: Die Stadt Potsdam habe sich nach langem Ringen bereiterklärt, Unidram auf eine „etwas solidere Basis“ zu stellen. Wie diese konkret aussehen soll, war danach von Birgit-Katharine Seemann, Fachbereichsleitern für Kultur und Museum, zu erfahren: Statt wie bisher mit 21 000 Euro will die Stadt das Theaterfestival zukünftig mit 35 000 Euro jährlich fördern. Pösel versäumte nicht, an den anwesenden Staatssekretär Martin Gorholt die Frage zu richten, ob dieser „Liebesbeweis“ denn nicht auch das Land inspirieren könne. Der versicherte, am Land solle die solide Basis des T-Werks nicht scheitern.
Nach den erfreulichen Neuigkeiten war die Bühne dann frei für die Eröffnungsinszenierung „salto.lamento“ des „figuren theaters tübingen“. Tänzerisches kündigt bereits der Titel an, und tatsächlich ist „salto.lamento“ eine Art frohgemute Friedhofsrevue. Schon wenn zu Beginn eine überlebensgroße Gestalt im weißen Flattergewand auf gezupften Kontrabasstönen über die Bühne reitet, ist klar wohin die Reise geht: Die geheimnisvolle Dame hat knorrige Hände und wenn die breite Krempe ihres Hutes sich hebt, ist ein Totenkopf zu erkennen. Was sie freilich nicht davon abhält, ihrem menschlichen Begleiter (alleiniger Meister über alle Puppen: Frank Soehnle) zart über die Wange zu streicheln und sich in innigem Tanz an ihn zu schmiegen. Auch Tote wollen leben, das ist der Tenor des Abends.
Soehnle zaubert unermüdlich neue Gestalten auf die Bühne und die beiden Musiker Johannes Frisch und Stefan Mertin finden immer neue Rhythmen, um die Glieder der Puppen zu beleben. Am drolligsten die orientalisierenden Zuckungen eines kleinen Männleins mit dickem Leib und Spinnenfingern: eine Art beständig wippender, professoraler Flummi, der indische Tanzbewegungen genauso zitiert wie die flirrenden Zuckungen von Freejazzern – und damit erst aufhört, wenn er von Soehnle in einen Bilderrahmen gehängt wird, damit er sich einer anderen Puppe zuwenden kann. Etwa ein halbes Dutzend verschiedenster Untoter erweckt er zum Leben, bringt sie zum Hüpfen, Fliegen, Swingen und Zappeln – ohne dass sich zwei Gestalten jemals begegnen würden. Weil Soehnle nur zwei Hände hat. Aber dennoch gerät „salto.lamento“ so immer mehr zur Nummernshow, die Auftritte seiner Puppenprotagonisten zu einer Ansammlung gut gemachter Effekte. Dass die Musik nicht nur live gespielt, sondern mit künstlicher Stimmungsmache aus dem Off verstärkt wird, hilft dabei nicht. Selbst der schönste Tanz macht irgendwann müde, wenn man nur gucken darf.
Auch „Imomushi“, die zweite Inszenierung bei Unidram am Samstag, setzt vor allem auf Atmosphäre. Aber im Beitrag der französischen Compagnie Pseudonymo entfaltet sie einen schauerlichen Sog. Das mag am Stückinhalt liegen: „Imomushi“ ist nach einer Vorlage des japanischen Krimiautors Edogawa Rampo entstanden und erzählt die Geschichte des Kriegsheimkehrers Sunaga, der völlig verstümmelt, ohne Arme und Beine, zu seiner Frau zurückgebracht wird. „Imomushi“ heißt auf Deutsch Raupe, und als eben solche liegt Sunaga auf der Bühne: eine Puppe, aber als menschliches Stück Fleisch so glaubhaft, dass seine Qual, sein Sich-Winden, Sich-Aufbäumen geradezu körperlich spürbar wird. Wenn seine Frau (Angélique Friant) sich ihm nähert, reckt dieser Raupenmann mühsam den Kopf; wenn er über sein Körpergefängnis verzweifelt, haut er den Kopf hart auf den Boden. Die Klopfgeräusche des Schädels fahren einem tief ins Mark: Sie erzählen mehr darüber, wie qualvoll Hilflosigkeit sein kann, als Worte es je könnten. Schade, dass die wenigen französischen Textpassagen nicht übertitelt waren. Man muss die Worte der Frau zwar nicht verstehen – aber wenn man weiß, dass sie „Er fängt wieder an“ sagt, wird deutlich, wie sehr der verstümmelte Körper auch Tyrann ist.
„Imomushi“ ist ein Alptraum. Die Inszenierung folgt nicht dem Realismus des Wachzustands, scheut nicht drastische Überhöhung – alles möglich im Keller des Unterbewussten. Die wie Erinnerungsfetzen kurz aus dem Dunkel aufleuchtenden Szenen sind unterbrochen von einer metaphorischen Ebene vorn am Bühnenrand: Eine kleine Raupe quält sich eine Schräge entlang, langsam, stetig. Am Ende fällt sie; ein einfaches, erschütterndes Bild. Was „Imomushi“ großartig macht, sind nicht die Bilder, die technische Brillanz oder die meisterliche Übersetzung des vom Film gebunkerten Psychothrillergenres in die Bühnensprache. Sondern vor allem die Tatsache, dass „Imomushi“ völlig nebenbei ein sehr politisches Stück ist. Es zeigt, wie unmittelbar und schmerzhaft die große Welt draußen die kleine Welt drinnen betreffen kann.
„The Table“ von Karbido schließlich gab den schmissigen Schlussakkord des Eröffnungswochenendes bei Unidram. Es ist erdiger, diesseitiger als „salto.lamento“ und „Imomushi“ und setzt doch auch auf Verzauberung. Die Gruppe mache schon lange Musik und habe einfach mal was Neues ausprobieren wollen, steht im Programmheft. Was auf der Bühne zu sehen ist: Die vier Musiker (Marek Otwinowski, Pawel Czepulkowski, Igor Gawlikowski und Michal Litwiniec) sitzen um den titelgebenden Tisch, werfen wie nebenbei rasierklingenscharfe Messer in die mit Geräuschverstärkern ausgestattete Tischplatte, streicheln ihre Oberfläche, malträtieren die Kante, als spielten sie „Alle Vögel fliegen hoch“, trommeln nervös mit den Fingerspitzen oder hauen mit den Fäusten zu. Wie sich das anhört? Nach Asien, nach Tempeln, nach Wüstensand, nach Technokellern, nach Death-Metal-Party. Und ganz am Ende, als auf dem Tisch eine Kerze brennt, dann doch wieder ein wenig nach Geisterbeschwörung. Dabei wäre die gar nicht nötig gewesen. Denn das alte Rätsel um funktionierende Bühnenerlebnisse, das „The Table“ nebenbei miterzählt, ist auch so gespenstisch genug: Man war da, hat alles gesehen – und kommt doch nicht ganz dahinter, was sich eigentlich abgespielt hat.
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