Von Heidi Jäger: „Auf den Moment kommt es an“
Der HFF-Student Moses Leo spielt in der Uraufführung „Graceland“ am Hans Otto Theater
Stand:
Wie fühlt sich ein Junge, wenn er plötzlich aus seiner vertrauten dörflichen Umgebung herausgerissen wird und über ihn die Schnelligkeit der Großstadt hinwegrollt? Reingeworfen in den Moloch der Slums hält Elvis inne und fragt: Warum wird hier gesteinigt, warum getötet, warum geklaut? Er träumt sich an einen anderen Ort: nach Graceland, der Sterbe- und Pilgerstätte seines Idols, mit dem er mehr als den Namen teilen möchte. Der schwarze Junge im fernen Nigeria schminkt sich weiß, singt und tanzt wie einst der King of Rock’n’Roll. Doch seine Playback-Nummer, die er am Strand vor reichen Leuten präsentiert, bringt nicht das nötige Geld zur großen Überfahrt.
Elvis ist die Hauptfigur in dem Theaterstück „Graceland“, das am Samstag in der Dramatisierung des gleichnamigen Romans von Chris Abani am Hans Otto Theater uraufgeführt wird. Moses Leo, HFF-Student im letzten Semester, ist einer der fünf Darsteller, die Elvis ihre Stimme geben, so wie auch dessen Vater, der Stiefmutter oder den Freunden. Immer wieder wechseln die Schauspieler die Rollen. „Regisseur Carlos Manuel inszeniert das Stück wie eine Show. Es geht ihm nicht um Identifikationsfiguren, die sich entwickeln. Auf den Moment kommt es an“, so der in Thüringen geborene 24-jährige Schauspieler.
Auch der Ort der Handlung sei auf der Bühne nicht genau definiert. Und so kann selbst in der türkis gefliesten Reithalle Nigeria sein. „,Afrika ist überall’, war unser Proben-Motto. Und was Elvis in Lagos erlebt, könnte ihm auch am anderen Ende der Welt zustoßen. Von allen Seiten strömt es auf den Jungen ein. Jeder zieht an ihm: der arbeitslose Vater will, dass der Sohn die Miete aufbringt, der Freund Redemption frohlockt mit krummen, schnellen Geschäften. Der Theaterstücke schreibende ,König der Bettler’ hofft, dass Elvis politisch aktiv wird.“ Wie soll der Junge bei diesem Gezerre seinen eigenen Weg finden?
Auch für Moses Leo war es nicht immer leicht, sich selbst zu behaupten. „Als kleiner Junge war ich eher still, redete nur das Nötigste.“ Und so wie seine Bühnenfigur Elvis wünschte sich auch Moses Leo, Sohn eines Südafrikaners, ein weißes Gesicht. Er wollte als Teenager nicht auffallen, keine Schmährufe wie „He, du Neger“ über sich ergehen lassen. Als es ihn aus seinem Dorf Unterwellenborn, wo lange Zeit der saure Regen der Maxhütte die Idylle zwischen Hühnern, Schweinen und Wald trübte, nach Amerika zog, konnte er seinen Traum jedoch auf einfachem Weg verwirklichen: Er zog in der elften Klasse zu einer Gastfamilie in die USA und hatte das Glück, an der Highschool eine „Drama“-Klasse besuchen zu dürfen. „Dort konnten wir sogar während des Unterrichts Theater spielen.“ Auch nach dem Abi blieb er dem Theater treu: Statt Armee oder Zivildienst absolvierte er ein freiwilliges kulturelles Jahr am Schauspielhaus Bochum, kopierte Texte, stand als Statist auf der Bühne, assistierte im Jugendklub dem Regisseur. Und mittendrin kam die Zusage für einen Studienplatz an der Filmhochschule Babelsberg.
Schon für „Chatroom“ holte ihn vor zwei Jahren der angolanische Regisseur Carlos Manuel ans Hans Otto Theater. „Und dann kam wieder die wunderbare Anfrage. Es wird allerdings beim Gastauftritt bleiben, denn im Vorspiel vor dem neuen Intendanten fiel ich leider durch.“
Doch für Moses Leo kein Grund zur Traurigkeit. Aus dem stillen kleinen Jungen ist längst ein selbstbewusster und, wie er freimütig zugibt, eitler junger Mann geworden, der vor Ideen nur so sprüht. Mit seinem WG-Mitbewohner gründete er die Band „Geis und Baba“, mit der er als Rapper und Sänger kurz vor seinem ersten Auftritt steht: „Im ,Casablanca’ Jena, meinem heimatlichen Lieblingsklub.“ In Jena hat er sich auch am Theater beworben. „Doch wenn es klappt, weiß ich nicht einmal, ob ich es wirklich will. Denn ich muss unbedingt auch Filme machen, Moderationen ausprobieren, Lesungen veranstalten, Hörspiele sprechen, tanzen und natürlich reisen.“ Er sei wie Peter Pan, das Kind, das nicht erwachsen wird. „Ungehemmt möchte ich meinen spontanen Impulsen folgen. Das Grüblerische, das Nach-Denken, kann später kommen.“
Jetzt, wo er in Berlin wohnt, weiß er auch wieder sein Zuhause zu schätzen, die Oase am Waldesrand. „Dort ist ein ganz anderes Tempo als in der schnellen Stadt. Es ist, als wenn man vom vierten Gang in den ersten runterschaltet.“ Und das würde wohl auch Elvis gerne tun.
Für alle Vorstellungen, auch für die Premiere am 21. März um 19.30 Uhr, gibt es noch Karten. Morgen um 21 Uhr findet in der Reihe „FreiStil“ eine öffentliche Generalprobe statt. Karten unter Tel. 98 11 8.
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