
© Manfred Thomas
Kultur: Auf der Flucht
Giovanni Albert Ristoris „Calandro“ von der Jungen Barockoper Sanssouci in Szene gesetzt
Stand:
Traditionell wird den Opern von Giovanni Alberto Ristori kaum Beachtung geschenkt. Der italienische Komponist lebte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Kammerorganist und Hof-Vizekapellmeister in Dresden. Gut für ihn, dass er in Elbflorenz wirkte, denn somit bekam eine seiner Opern 2011 die Aufmerksamkeit, die sie verdient: „Calandro“, eine Commedia per musica aus dem Jahre 1726. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci widmeten sich dem Werk, da sie in diesem Jahr die Beziehungen zwischen Sachsen und Preußen zur Zeit Augusts des Starken und des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. ins Visier nahm und das musikalische Geschehen jener Zeit in Dresden Revue passieren lässt. Als der preußische Monarch und Kronprinz Friedrich 1728 auf Staatsbesuch in Dresden weilten, wurde ihnen zu Ehren „Calandro“ im vier Jahre zuvor fertig gestellten Rokokojuwel Schloss Pillnitz vorgestellt.
Nun wurde die Opernkomödie im Gartensalon am Neuen Palais gespielt. Die Produktion wandte sich an ein junges Publikum, das noch wenig Barockopernerfahrungen besitzt oder erstmals mit einem Musiktheaterwerk in Berührung kam. Natürlich nicht ausschließlich. So war das Interesse der Besucher ganz unterschiedlich. Manche wollten endlich eine Oper von Ristori auf der Bühne kennen lernen, andere kamen, um die Sänger zu erleben, und die meisten, um sich an einer heiteren Freilicht-Aufführung zu erfreuen.
Die Oper erzählt vom Philosophen Calandro, der schlechte Erfahrungen mit der Welt machte und desillusioniert sich von den Menschen fernhalten will. Er möchte sein Leben fortan beschaulich in einem Wald und nur mit einem zahmen Bären, den er das „Menschsein“ lehrt, verbringen. Doch von Beschaulichkeit ist bald keine Rede mehr, denn der Oberhirte Alceste bittet ihn, den Hirten Nearco gute Manieren beizubringen. Doch der will seine Freiheit behalten und nur Spaß haben. Dann gibt es Nearcos Kollegen Licisco, ein junger Adliger, und seine Verlobte Clizia. Er ist sich nicht sicher, ob er das Mädchen zur Frau nehmen möchte, sie aber will ihn auf alle Fälle. So ist Licisco ständig auf der Flucht, Clizia auf der Suche nach ihm. Auf ihren Wegen gibt es allerlei Verwicklungen. Aber wie es in einer Commedia per musica fast gang und gäbe ist, gibt es ein versöhnliches Ende.
Angenommen hat sich diese heitere Oper eine ambitionierte Truppe junger Nachwuchskünstler. Die Produktion lief unter dem Label „Junge Barockoper Sanssouci“. Es soll auch weiterhin Teil des Festivals bleiben und Werkstattcharakter haben. Der in Potsdam von seinem Musizieren mit der Kammerakademie gut bekannte schwedische Dirigent Olof Boman war für die musikalische Leitung verantwortlich. Das war ein Glücksfall für die Inszenierung, denn Boman animierte die Mitwirkenden immer wieder zu einem frischen und unverkrampften Musizieren. Mit dem in Sachen historischer Musizierpraxis orientierten Berliner Solistenensemble Kaleidoskop wurde er in den Pavillon platziert, also hinter der Szenerie. Das bedeutete für Solisten und Orchester ein besonders intensives Aufeinander-Hören, denn nur selten hatten die Darsteller den Dirigenten und umgekehrt im Blick. Der hat mit Musikern und Sängern jedoch die Partitur bestens erarbeitet, sodass ein insgesamt rundes Klangergebnis zustande kommen konnte. Mit seinem musikalischen Esprit kann „Calandro“ es durchaus mit anderen Opern aus der Barockzeit aufnehmen, bietet das Werk doch ein reiches Sortiment an musikalischer Entfaltung für alle Beteiligten. Und die nutzten Boman, die Musiker, die Sängerin sowie die Sänger ausgiebig und mit meist viel Erfolg. Die Mezzosopranistin Maria Sanner (Clizia) vermochte ihrer Stimme vielfältige Farben zu geben, auch dem Countertenor Roland Schneider standen für seine Arien bereits eine ganze Reihe überzeugender Gefühlspaletten zur Verfügung. Höhepunkt der Aufführung war das Duett im zweiten Akt, bei dem ihre ruhig fließenden, lyrisch flutenden Stimmen die Zuschauer besonders berührten. Christian Oldenburg als Calandro konnte mit seinem warmen und klar klingenden Bariton ebenfalls überzeugen. Nicht anders der Tenor David Szigetvári als nerviger Alceste und der Countertenor Daniel Carlsson als „Bösewicht“ Nearco. Die Arien wurden in italienischer Sprache gesungen, die Rezitative in Deutsch und immer verständlich.
Die Balance zwischen situationsbedingter kreativer Komik und seriös ironischem Innehalten ist in der selten stringenten Dramaturgie der Oper nicht ganz leicht zu finden. Dem jungen Regisseur Hendrik Müller gelangen im ersten Teil selten überzeugende szenische Lösungen. Erfrischend war zwar, das pastorale Verwirrungsspiel im Heute anzusiedeln, die Sänger in die fantasievollen Kostüme der Modestudentinnen Jennifer Czarnecki und Luisa Nass zu stecken und überraschend das Ganze mit Rap zu beginnen, doch das ständige Gelaufe durch das weite Rund des Gartensalons macht eben noch keinen Spielwitz aus. Da war zu viel Ausgestelltes und Angestrengtes zu erleben und die Handlung erschloss sich bis zur Pause kaum. Bis dahin hätte man die Oper auch getrost „Auf der Flucht“ nennen können. Erst im zweiten Teil bekam die Inszenierung eine schöne Dichte in der Personenführung, waren stimmige Szenen zu beobachten und eine überraschende Wendung, die nachdenklich machte.
Der Gartensalon mit seinem natürlichen Bühnenbild wurde von Hannah Hamburger als Landschaft mit Hügeln und Tälern angereichert, Für die sanften Erhebungen sorgte allerlei Mobiliar, das mit Rollrasen bedeckt wurde. Nur der große Schrank aus Großmutters Zeiten ragte heraus, als Rückzugs-, Gefangenen- oder Plauderort, der aber auch für so manche Überraschungen sorgte.
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