Kultur: Auf der Flucht
Hellmuth Karasek las in der Reithalle A aus seiner Autobiographie
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Hellmuth Karasek las in der Reithalle A aus seiner Autobiographie Von gerold Paul Der Literaturkritiker, Feuilletonist und streitbare Gegner prominenter Kultur-Hoheiten, Hellmuth Karasek, ist weder Potsdam noch der Welt ein Unbekannter. Mit zunehmender Auftrittsdichte findet man den medienverliebten Schreiber bei manchen kulturellen Diskussionen, von Meinungsmachern als „nicht unumstritten“ annotiert. Er kennt die deutsche Zeitungslandschaft von Axel Springer bis zur „Zeit“, arbeitete für die „Stuttgarter Zeitung“, den „Spiegel“, war bis vor kurzem Mitherausgeber des „Tagesspiegel“. Das Fernsehen brachte ihn so manches mal in Schweiss, als er seinem Erz-Kollegen Reich-Ranicki beim „Literarischen Quartett“ Paroli geben sollte. Das gelang nur selten. Mit diesem teilt er auch den Wunsch, Autor und Kritiker in einer Person zu sein. Doch beiden widerfuhr, was anderen sie taten, man verriss ihre Roman-Versuche ganz hemmungslos: Bei Karasek „Das Magazin“ und „Der Betrug“. Ausgerechnet ihm, der in den Fünfzigern Germanistik, Geschichte und Anglistik studierte, warf man Schludrigkeit und fehlerhafte Sujet-Gestaltung vor. Kritiker sind eben keine guten Erfinder. Bei einer Biographie ist das anders, hier zählen nur Wahrhaftigkeit, die Schärfe der Erinnerung und die Kraft zur Darstellung. Dies alles scheint, dem Vernehmen nach, in Hellmuth Karaseks Autobiographie „Auf der Flucht“ enthalten zu sein, welche der Dr. phil. am Donnerstag in der Reithalle A präsentierte. Die Veranstaltung lag in den treuen Händen des Brandenburgischen Literaturbüros, der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Hans Otto Theaters. Viele kannten das knapp 800 Seiten starke Buch bereits, eine gekürzte Fassung, wie der Autor mitteilte, denn einiges wurde aus verlegerischen Gründen, anderes, wie Passagen zu seinem jetzigen Brötchengeber Axel Springer, in weiser Selbstzensur gestrichen. Was übrig blieb, war auch nicht schlecht und ziemlich gut geschrieben. Er beginnt eine Szene in farbigen und detailstarken Bildern, fügt eine Art Parenthese ein, schließt das Kapitel dann ab, dabei immer „Auf der Flucht“: Weihnachten 1944 vom oberschlesischen Bielitz an der galizischen Grenze (nahe Auschwitz) ins Niederschlesische, von dort gen Sachsen-Anhalt. Nach dem Abitur entfloh er der Stalin-Diktatur in Richtung Tübingen, wo er promovierte. „Erinnerungen“ heißt dieses gut les- und hörbare Buch, obwohl es der prominenten Lesestimme gelegentlich an Festigkeit gebrach. Bielitz also, Tübingen, die Zeit als Chefdramaturg am Württembergischen Staatstheater 1965 mit hübschen Schnurren über exportierte Brechtschüler, die eher einen Porsche fuhren als die smarten Klugen westlicher Abkunft. Was ihm, wie angekündigt, als Betrug, Verrat, „Lüge und eigener Wahrheit“ geschah, hörte man bei der Lesung leider nicht. Schade. Katarzyna Kaminska vom Literaturbüro hatte angesichts der Eloquenz dieses „Pop-Feuilletonisten“ (Gerhard Stadelmeier) nach den 45 Leseminuten wenig zu moderieren. Fragen aus dem Publikum zur literarischen Quadriga („hat Tiefenwirkung“), nach seiner elterlichen Sendung in Hitlers „Napola“ (blieb leider unerklärt), Statements zu den anhaltenden Schuldgefühlen gegenüber Polen und der DDR, „sie hat ja viel in mich investiert“. Zur aktuellen Kultur-Situation in Potsdam wollte er, da nicht gut informiert, keine Aussage machen, anderes blieb wohl ein wenig verwaschen. Kritikus Reich-Ranicki jedenfalls lobte das Buch euphorisch – in seiner Biographie ist man eben zu Hause.
gerold Paul
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