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Kultur: Auf Erden war ihm nicht zu helfen

Die fabrik zeigt ab Donnerstag das Stück „Do you want to die with me“ nach Briefen von Kleist

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Die fabrik zeigt ab Donnerstag das Stück „Do you want to die with me“ nach Briefen von Kleist Von Heidi Jäger „Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen ist.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Heinrich von Kleist in einem Brief von seiner Schwester Ulrike, bevor er sich und seine schwerkranke Begleiterin Henriette Vogel am Kleinen Wannsee erschoss. Wer war dieser Mann, der sich in seinen Komödien „Der zerbrochene Krug“ oder „Amphitryon“ auf den ersten Blick so heiter gab und doch seit jungen Jahren vom Selbstmordgedanken getrieben wurde? Das Tanzstück „Do you want die with me“ (Möchtest du mit mir sterben) der fabrik, das Donnerstag im T-Werk Premiere hat, versucht über die Briefe des Dichters tiefer in die Gefühle und Abgründe des unerbittlich mit sich Hadernden vorzudringen. „Es ist das erste Mal, dass wir zu einem vorgegebenen Thema arbeiten“, so der Tänzer Sven Till, der auch für die Idee und Konzeption verantwortlich zeichnet. „Auf das Thema sind wir durch das Kleist Forum Frankfurt (Oder) gestoßen worden. Dort kannte man bereits unsere Choreografien ,fallen“ und ,Pandora “88“, und nun wurden wir ermuntert, die Briefe von Kleist auf die Bühne zu bringen. Interessant dabei ist, dass eine Tanzcompany aus Poznan vor die gleiche Aufgabe gestellt wurde und beide Inszenierungen im Oktober an einem Abend aufgeführt werden.“ Wie lässt sich nun aber ein textlastiges Thema in Bewegung umsetzen? Sven Till las sich erst einmal quer durch das Werk von Kleist, das er nur aus der Schule und vom Studium kannte. „Natürlich war ich erst einmal von der Fülle erschlagen, obwohl es sicher noch intensivere Briefeschreiber gibt. Aber es war wohl auch die Tiefe und Schwere der Korrespondenz, die mich sehr beschäftigte. Nach langem Lesen kristallisierten sich schließlich einige Grundsituationen heraus, die in ihrer Konsequenz einzigartig waren.“ Das seien vor allem die unerbittliche Sinn- und Glückssuche und die innere Zerrissenheit Kleists in einer stark idealistisch geprägten Zeit gewesen. Fast zwanghaft habe er versucht, seinen Platz im Leben zu finden und zu behaupten. „Dabei ahnt man sein Scheitern früh voraus“, so Sven Till. Eine sehr wichtige Rolle in Kleists Leben nahmen die Frauen ein. So die Schwester Ulrike, die für seinen Lebensunterhalt mit sorgte, seine Verlobte Wilhelmine, von der er sich trennte, weil sie nicht mit ihm auf dem Land leben wollte, und vor allem die entfernte Cousine Marie, die wohl wichtigste Person für ihn – mit der er auch am liebsten aus dem Leben geschieden wäre – hätte sie gewollt. „Durch die vielfältigen Beziehungen zu den verschiedensten Frauen-Charakteren stand für uns frühzeitig fest, dass wir ein Duett auf die Bühne bringen, ohne uns dabei auf bestimmte Personen festzulegen. Somit tritt neben die innere Ambivalenz von Kleist die Ambivalenz der Frau.“ Gemeinsam mit dem englischen Regisseur Andrew Dawson, der in Potsdam seine erste Begegnung mit Kleist hatte, hielt sich das kleine Team – zu dem auch die in Berlin lebende koreanische Tänzerin Hiekyoung Kim sowie der Komponist und Performer Matthias Herrmann gehören – an Kernsätzen des Dichters fest, „die wie Blitze auftauchen: Vor allem seine unerbittliche Liebessehnsucht. Kleist will glücklich sein und kann es nicht. Er steht neben dem Leben, kann den Augenblick nicht genießen.“ Der späte Dichterfreund Achim von Arnim habe ihn als unsteten, unzugänglichen Menschen beschrieben. „Kleist suchte Freunde, aber es kam immer wieder zu Brüchen. Die Dunkelheit, in die er hinab stieg, war für andere sicher nicht leicht zu ertragen. Ebenso der fast schulmeisterliche Ton, den er in seinen Briefen immer wieder anschlug.“ Mit dem ganzen Briefballast im Kopf begannen die Tänzer erst einmal, sich mit Kostümelementen frei zu spielen: „Davon übrig geblieben sind nur ein paar Stiefel. Sie sind nicht nur Hinweis auf Kleists militärisch geprägtes Leben, sie sind vor allem Sinnbild für die Schuhe, in die wir hineingeboren werden, die zu groß oder zu klein sein können.“ Kleist, der sehr früh Mutter und Vater verlor, hatte sich unter anderem dem hohen Anspruch der Militäranstalt zu stellen. „Zeitlebens suchte er den, der ihn liebt, nicht den, den er lieben kann.“ Die fabrik möchte Kleist aber nicht in seinem Trübsal widergeben, auch wenn der Titel das suggerieren könnte. „,Willst du mit mir sterben?“ – welch“ eine Aussage. Welche Schwere. Normalerweise fragt man: ,Willst du mit mir leben?“. Gerade wegen der Dramatik sind wir aber sehr frisch und parodistisch die Sache angegangen, versuchten das Absurde der Situation zu beschreiben.“ Und wenn die Arbeit doch mal zu schwer auf ihm lastete, sprang Sven Till kurzerhand ins kühlende Nass der nahen Havel . „Was ist das Leben? Was sind unsere Sehnsüchte?“ – das sind die eigentlichen Fragen, die sich für den Tänzer bei der Begegnung mit Kleist ergaben. Manchmal müsse man wohl auch dem Tod begegnen, um das Leben zu schätzen.

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