Kultur: Auf Hörsch-Jagd
Das erste Oh!-Ton-Festival in der Schiffbauergasse endete am Sonntag mit reicher Beute
Stand:
Ein Oh-Ton kommt selten allein. Gern paart er sich und schwillt an zu einer Sinfonie. Ob im zackigen Staccato oder im weichen Fluss des Legato – alle Oh-Ton-Festival-Klänge fanden am Wochenende Gehör. Wie ein weiches, doch bizarres Gespinst legten sie sich am Sonntagabend über die Zuhörer der gut besuchten fabrik, die in Sitzsäcken lümmelten und in andere Welten versanken. Eine reiche Beute an komischen, schrägen, abstrusen, nachdenklichen, vor allem aber unterhaltsamen Tönen hatten die 14 Teams, die sich an der Oh!-Ton Jagd des 1. Potsdamer Festivals für radiophone Dokumentationen beteiligten, erlegt. Sie wurde nun als Jagdplatte fein filletiert zum Festivalabschluss serviert.
In jedem der dreiminütigen Kurzfeatures ratschte ein Reißverschluss durch das Klangdickicht– wie es die Organisatoren der Potsdamer Fachhoschule vorgaben. Und auch der ultimative Satz „Nein nicht alle, einige amüsierten sich großartig“ kam in den unterschiedlichsten Gewändern daher. Da die Besucher aufgefordert waren, als Juroren unter den 14 Einsendungen aus Wien, Freiburg, Berlin oder Potsdam auszuwählen, war größte Konzentration gefragt. Schließlich sollte der Goldene Hörsch als Sieger-Trophäe vergeben werden. Und auch der rote und graue warteten mit ausladendem Geweih – das ihnen Potsdams Bildhauer Philipp von Appen wachsen ließ – auf tonstarke Besitzer. Auf eine Lichtung im Berliner Grunewald entführte Susanne Franzmeyer die Oh-Ton-Hörer. Dort fing sie nicht nur das Gezwitscher der Vögel ein, sondern nahm auch das Vögeln von ganz menschlicher Seite aufs Korn. Ihre Jagd auf die fleischlichen Gelüste brachte ihr den grauen Hörsch ein: weil sich auch Humor und Kurzweil paarten.
Die Unterwasserwelt sprudelte nicht nur Meerjungfrauen, sondern am Ende auch den Roten Hörsch hervor. Ein anspielungsreicher Minikrimi mit poetischem Ansatz, hochkomplex und stark im Rhythmus, wie die Jury zu Recht herausstrich. Ihn konnte der HFF-Student Mahan Mabashery in sein Revier tragen. Der Goldenen Hörsch wird künfig in der Stube von Natalie Kreisz röhren, den sie für ihr augenzwinkerndes Berlinporträt „Ein Eldorado für Künstler“ erhielt. Das Campus Radio Potsdam ging leer aus, war aber durchaus Hörsch verdächtig: mit einer Reise in die Zukunft, in der es zwei Jugendliche an den Kragen geht, als sie es tatsächlich noch wagen, zur Zigarette zu greifen.
Ansonsten gab es aufgeschlitzte Igel, Köln orientalisch, das Tamagotschi auf dem Fudschi ... Die Oh-Töne paarten sich mehr oder weniger originell. Auf jeden Fall machten sie Lust auf mehr: und das auch bei den Veranstaltern, die ihre Premiere mit Bravour bestanden und die Schiffbauergasse als abschussträchtiges Jagdrevier markierten. Heidi Jäger
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: