Kultur: Auf in den Süden
Gitarrist Ferenc Snétberger im Nikolaisaal
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Nicht erst zu Goethes Zeiten zog es die Künstler in den Süden. Schon zweihundert Jahre zuvor wurde Italien zum tonangebenden Land für ganz Europa. Wie stark das musikalische Erbe der Mittelmeer-Region bis heute weiterlebt, zeigte sich bei der Klassik am Sonntag mit den Brandenburger Symphonikern im sehr gut besuchten Nikolaisaal. Ungewöhnlich genug, bestand das Programm nur aus Kompositionen des 20. Jahrhunderts. Das machte die Sache durchaus anregend, denn jeder Komponist begegnete den mediterranen Musiknachlässen auf seine Weise. Ottorino Respighi, von manchen als Eklektiker bezeichnet, sammelte Klänge und Rhythmen aus allen Zeiten, fügte zusammen, was getrennt war und kleidete ganz nach Gusto neu ein. In den „Antiche Danze ed Arie per liuto Nr. 3“ verpasst er Lautenmusik des Frühbarocks einen spätsymphonischen Anstrich. Mit sattem Streicherklang selbst im „staccato“, schwingen die Brandenburger Symphoniker unter der Leitung von Michael Helmrath dramatisch in opernhaft vibrierendes Ambiente. Erstaunlich, welch riesige, buntschillernde Luftballons dabei aus den Miniaturen von einst entstehen können.
Wäre Nino Rota 100 Jahre früher geboren, hätte er womöglich als zweiter Verdi Karriere gemacht. So aber erreichte der eminente Melodiker in über 150 Filmen von Fellini bis Coppola weit mehr Zuhörer als in Konzertsaal oder Kirche. Rotas „Concerto per archi“ bezwingt die immanente, sentimentale Melodik mit harter Rhythmik, schroffen Akkordblöcken und repetierenden Drehbewegungen. In der Interpretation der Brandenburger erklingen aufgeraute, spannungsreiche Impressionen voller Brüche und Abgründe. Es scheint, als ob der Komponist mit dieser Musik eine Tür zur musikalischen Avantgarde der sechziger und siebziger Jahre, die Melodien nicht gerade schätzte, aufstoßen wollte.
Gab es vor der Pause nur Streicher zu hören, so steht nun ein ganzes Orchester auf der Bühne, samt drei Percussionisten, Harfe und Celesta. Obwohl vom Jazz kommend hat John McLaughlin oft das große Format bevorzugt. Sein in den 80er Jahren entstandenes Gitarrenkonzert gibt sich in Form und Klang klassisch-romantisch. Mit dem Ungarn Ferenc Snétberger steht ein Vollblut-Musiker auf der Bühne des Nikolaisaals, dessen virtuoses Spiel nichts zu wünschen übrig lässt. Er hat das richtige Händchen für die rhythmischen Feinheiten von Fandango und Seguirya, für improvisatorische Kadenzen und wie verträumt gezupfte Passagen. Das dreisätzige Werk kann die vielen Anklänge an berühmte spanische Vorbilder nicht leugnen, soll es auch gar nicht, wie McLaughlin einst sagte. Schöne Solo-Passagen der Brandenburger gleichen die manchmal etwas zu forcierten Orchestereinsätze aus. Für die Ovationen bedankt sich Ferenc Snétberger mit zwei wunderbaren Zugaben, in denen sein Spiel erst so richtig aufblühte. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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