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Von Heidi Jäger: Auf Norm gebracht

Die Autonome Theaterjugend spielt „Clockwork Orange“ / Am Freitag ist im Casino Premiere

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Sie nennen sich zwar Autonome, gehen aber nicht auf die Straße, um Steine zu werfen. Das betont die achtköpfige Crew, die stattdessen mit theatralen Argumenten Wände einreißen und Steine aus dem Weg räumen will, die Erwachsene ihnen bei der Suche nach Individualität oft in die Quere legen.

In ihrem Stück „Clockwork Orange“, das die „Autonome Theaterjugend“ am Freitag im Casino zur Premiere bringt, geht es um Gewalt. Vor allem um Alex, der raubt und vergewaltigt und am Ende durch Gehirnwäsche auf die gesellschaftliche Norm zurecht gestutzt wird. „Wir beschäftigen uns bereits seit dem letzten Sommer mit diesem Stück des amerikanischen Autors Anthony Burgess, das durch seine Stanley-Kubrick-Verfilmung Kult geworden ist.“ Doch der 19-jährige Spielleiter Tino Hillebrand orientierte sich nicht an den Film, sondern griff zu dem in die Jahre gekommenen Buch, pustete ein wenig Staub aus den inzwischen 45 Jahre alten Seiten und stellte fest, wie aktuell der Autor noch heute ist. „Er nahm vorweg, was wir derzeit erleben.“

Tino schlug sich die ganzen Sommerferien um die Ohren, um aus dem Buch eine eigene Theaterfassung zu formen: Sie sollte genau auf die sieben Darsteller passen, die nunmehr in 30 Rollen agieren. „Das war schon Schwerstarbeit.“ Als er auf der Wellen umspülten Insel Hiddensee allein mit seinem Laptop saß und nicht mehr weiter wusste, rief er Hilfe suchend bei Anna an, die er vom Kurs Darstellendes Spiel am Helmholtz Gymnasium kannte. Die 17-jährige hat inzwischen an die Gesamtschule gewechselt, floh dem Leistungsdruck, der ihren eigenen Lebensvorstellungen zu wenig Platz ließ. Die Enkeltochter des verstorbenen Malers Stefan Eisermann fand in dem Stück durchaus Dinge, die über Fragen von Gewalt hinaus zielen. „Für mich geht es auch darum, wie man mit Jugendlichen umgeht, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen. Sie werden zwar dazu erzogen, alles zu hinterfragen, aber wenn sie es dann wirklich tun, ist es oft nicht erwünscht. Es geht nicht um Individualität, sondern darum, ein Maß zu erfüllen.“

Warum Jugendliche gewalttätig werden, dazu fänden sie bei Politikern oft nur klischeehafte Antworten: „Entweder sind es Migrantenkinder oder die Eltern sind arbeitslos. Oft ist es aber viel komplizierter, und das spiegelt sich auch in dem Stück wider“, so Tino. Er rieb sich genauso wie die Darsteller an der Wahlpropaganda Roland Kochs im vergangenen Jahr, als er die Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre heruntersetzen wollte. „Wenn ein 12-Jähriger in den Knast kommt, ist gar nicht abzusehen, welche Schäden er davon trägt. Da finde ich solche Ansätze wie betreutes Wohnen, das krasse Straftäter vielleicht wieder zurück finden lässt, viel sinnvoller. Aber darüber, was richtig ist und was falsch, sind wir uns selbst uneinig.“

Auf jeden Fall werden sie in ihrer Inszenierung Gewalt zeigen, ohne Gewalt auszuüben. Nicht Fäuste, sondern Musik und verbale Schläge sollen Bedrohung suggerieren. Und der Zuschauer sitzt in ihrer Bühnen-Arena mittendrin. Es ist das dritte Stück, das die „Autonomen“ auf die Bühne bringen: aber das erste als Verein und richtig öffentlich – sogar mit öffentlicher Förderung aus Mitteln des Ministerpräsidenten Brandenburgs.

Alle Akteure hatten schon zuvor Theaterberührung: „Wir sind ein Auswuchs vom Jugendklub des Hans Otto Theaters. Fast alle von uns spielten dort mit, manche sind noch immer dabei. Aber wir wollten frei von einer theaterpädagogischen Begleitung und für alles eigenverantwortlich sein: von der Musik über die Texte bis zur Regie. Im Jugendklub waren viele Projekte so angelegt, dass eigene Stücke entwickelt wurden und man sich oft nur selber spielt. Wir wollten uns aber nicht mehr nur mit uns selbst beschäftigen“, so der zuvor auch schauspielernde Tino. In ihrem ersten Stück „Santiago“ erzählten sie über Leute, die Ziele suchen, in der Bearbeitung von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ ließen sie sich „über geldgeile Säcke“ aus. Jetzt geht’s um Gewalt, „um ein ,Monster’, mit dem man am Ende Mitleid hat“, prophezeien Tino und Anna.

Premiere 23. Januar, 19.30 Uhr Casino, Pappelallee 8-9, auf dem FH-Campus. Weitere Vorstellungen im Februar.

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