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Von Heidi Jäger: Aufbruch aus der Einsamkeit Ursula Sinemus’ Erstling „Späte Lieben“

Die Einsamkeit kommt immer in der Dämmerung. Heliane kann sie nicht verscheuchen.

Die Einsamkeit kommt immer in der Dämmerung. Heliane kann sie nicht verscheuchen. „Ich bin jetzt auch Single, das klingt modern, nach Freiheit, und es klingt jung. Ich aber bin nicht mehr jung. Ich weiß nicht, wie man ein solches Leben bewältigt.“ Heliane ist 63 und entdeckt nach einer langen Ehe mit gemeinsamer Tochter, dass ihr Mann ein Verhältnis hat: zu ihrem Bruder. Hals über Kopf verlässt sie ihr vermeintlich sicheres Nest, stellt sich dem Alleinsein. Es ist ein Straucheln und Aufstehen, ein Barmen und Bangen, ein Lodern und Glühen. Heliane entdeckt eine neue Liebe, spürt in den Armen des Jüngeren, den Frühling wiederkehren. Doch beim Blick in den Spiegel und in die Zukunft wankt der Boden, bröckelt der Mut.

Die Autorin Ursula Sinemus legt mit „Späte Lieben“ ein lebenspralles, schwungvoll erzähltes Roman-Debüt vor, das zu einer spannenden Entdeckungsreise der Möglichkeiten im Alter wird. Ursula Sinemus, Jahrgang 1940, hat selbst erst spät ihre große Liebe entdeckt: das Schreiben. Es war im Sommer vor vier Jahren, als sie die Wendeltreppe zum Salon des Literaturladens Wist hinauf stieg, um sich ihrem Abenteuer hinzugeben. Dazu ermuntert und begleitet wurde sie von Hanne Landbeck und ihrem „schreibwerk potsdam“, das diesem literarischen Erstling im gerade gegründeten Landbeck Verlag Berlin nun auch öffentlich machte.

Die Autorin, die vierzig Jahre in niedersächsischen Schulen und Schulbehörden arbeitete, setzte sich nach der Pensionierung selbst wieder auf die Schulbank und übte sich im kreativen Schreiben. Sie schrieb gegen die gesellschaftliche Norm, die einer Großmutter nicht zubilligt, dass sie noch einmal Schmetterlinge im Bauch fühlt. Und ähnlich wie bei Andreas Dresens „Wolke 9“ hält ihre Heldin selbstbewusst dagegen. Wenn Heliane wegrennt, dann nicht, weil es sich nicht „gehört“ und weil Tochter und Enkel diese Liebe missbilligen. Es sind vielmehr die eigenen Zweifel, die nicht verstummen. „Wenn ich achtzig bin, ist er sechzig und noch nicht einmal pensioniert. Wie werde ich dann aussehen, vor allem nackt?“, quält sich Heliane im Zwiegespräch.

Sie findet eine neue Gemeinschaft, lebt mit Frauen in einer WG. Aufbruch ist spürbar – hinter jeder weit geöffneten Tür des großen Hauses, das am Ende ein Haus der Generationen ist. Der Leser wird hineingezogen in die so unterschiedlichen Biografien, sieht die Menschen vor sich, die Ursula Sinemus in gut sitzende, transparente Sprachkleider hüllt, und die beredt in die eigene Fantasie hinein schreiten.

Wir können die unerschrockene Heliane bis zu ihrem 90. Geburtstag begleiten, mit ihr anstoßen und auch ihrer Schöpferin gratulieren, die sich die Mut machenden „Späte Lieben“ zutraute und sich keineswegs daran verhob.

Ursula Sinemus, Späte Lieben, Landbeck Verlag, 212 Seiten, 16,90 €, Paperback. Zu bestellen unter info@landbeck-verlag.de

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