Kultur: Augen zu, null Bühnenshow Trotzdem umjubelt: Pothead im Lindenpark
Die Augen von Brad Dope sind geschlossen. Und er bewegt sich kaum.
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Die Augen von Brad Dope sind geschlossen. Und er bewegt sich kaum. Mit dem Publikum redet er auch nicht. Er singt nur und spielt Gitarre. Ab und zu trinkt er einen Schluck Bier. In der Theorie kommerzieller Musiksender macht der Frontmann von Pothead also eigentlich alles falsch, was eine Band auf der Bühne so falsch machen kann.
Doch tatsächlich wird das Konzert der Berliner Band im mit rund 700 Zuschauern fast ausverkauftem Lindenpark zum Triumphzug. Drei Stunden lang spielt das Musikertrio reine, puristische Rock-Musik, ohne dabei auf eine ausgefallene Bühnenshow Wert zu legen. Kulturpessismisten, die vom Untergang handgemachter Musik sprechen, weil angeblich Bands immer effekthaschender, kommerzieller und dem Massengeschmack angepasster werden, sollten Pothead-Konzerte besuchen.
Warum funktioniert ihr Stil seit ihrer Gründung Mitte der 90er so gut, dass – wie auch im Lindenpark – die Zuschauer in den ersten Reihen ein Konzert lang durchtanzen und sich in ihrem Verlangen nach Zugaben die Seele aus dem Leib brüllen? Pothead verstehen es einfach, eingängige Metal-Riffs und Rock-Melodien so geradlinig und zielsicher einzusetzen, dass jedes ihrer tiefgestimmten Lieder einen Kopf-Mitwipp-Effekt bekommt. Gleichzeitig sind die Songs an manchen Stellen aber auch progressiv angelegt, experimentell im Stil von Klassiker-Bands wie Deep Purple oder Led Zeppelin. Die Grundgeschwindigkeit ist dabei gediegen langsam.
Seine Dynamik erhält der Sound von Pothead, wenn Sänger Brad Dope seine Stimme hebt. Oder sie dann doch plötzlich einmal etwas schneller spielen. Doch wirklich viel passiert im Prinzip nicht, Stücke wie „Wild Weed“ oder „Kite“ liegen in ihrem Stil nicht weit auseinander. Damit sind Pothead in gewissem Sinne auch eine entspannende Band, bei der es auch nichts ausmacht, während der Show wie im Lindenpark zehn Minuten an einer Bierschlange zu stehen – Überraschungen gibt es sowieso nicht zu verpassen.
Dennoch sind die Zugaberufe am Ende – gegen 23.15 Uhr gehen die drei Musiker das erste Mal von der Bühne – vehement und fordernd. 45 Minuten müssen Pothead drauflegen. In dieser Zeit findet auch eine erste, freilich zurückhaltende Interaktion mit den Fans statt: Brad Dope prostet ihnen zu, lächelt. Und sieht dennoch wie seine Musikerkollegen völlig ungerührt aus: Schaffen sich Künstler so ein Image als perfekte Underdogs? Wahrscheinlich schon.
Bassist Jeff Dope zum Beispiel, ebenso wie Brad Dope im schlichten Anzug, lutscht öfter einmal an einem Lolli. Seine Augen sind wie bei Brad Dope ständig zu oder mindestens auf Halbmast. Das Wort Bewegung scheint er ebenso wenig zu kennen. Doch das Publikum ist davon hingerissen, Pothead hätten locker auch sechs Stunden so spielen können. Eine Band, die bewusst alles so falsch macht, dass sie damit grundrichtig liegt. Henri Kramer
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