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Rainer Sperl feiert am Sonntag seinen 60. Geburtstag.

© Andraes Klaer

Kultur: Aus Buchladen wird SperlGalerie

Morgen feiert der Galerist seinen 60. Geburtstag

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60 Jahre – genau die richtige Zeit, neue Türen aufzustoßen. Rainer Sperl, der am Sonntag im Nikolaisaal mit 170 Freunden durch seine Geburtstagsnacht tanzt, ist voller Pläne. Gerade ist er dabei, die ehemalige Buchhandlung „Alexander von Humboldt“ umzukrempeln und in eine Galerie zu verwandeln, in der auch großformatige Bilder weithin strahlen können. Eröffnet wird am 29. November erst einmal mit den „Kleinen Formaten“, um alle Künstler der Galerie nach einjähriger Pause wieder in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken. Mit den „Kleinen Formaten“ verabschiedeten sich Ursula und Rainer Sperl vor einem Jahr auch aus der Mittelstraße 30. Damals in der Hoffnung, in die traumhaften, brachliegenden Räume der Hebbelstraße 1/Ecke Gutenbergstraße einziehen zu können.

Doch die Baugesellschaft HochTief, die das denkmalgeschützte Areal von 1920 nach einer Ausschreibung erwarb, blockt inzwischen. „Wir waren schon fast am Ziel, 180 Quadratmeter dieses großen Komplexes für unsere Kunst mieten zu können. Nun aber hat HochTief an HochTief verkauft und will über diese Tochter aus den alten Konditionen heraus. Doch wir können nicht mehr zahlen, als ursprünglich vereinbart“, sagt Rainer Sperl. Dennoch hofft er, dass der neue Eigentümer am Ende ein Herz für die Kultur hat.

Falls sich dieser Traum nicht erfüllt, ist Rainer Sperl nicht abgeneigt, am Platz der Einheit tiefer zu wurzeln. „Vorerst bespiele ich die 400 Quadratmeter bis Mitte nächsten Jahres, danach gibt es monatliche Verlängerungen, bis klar ist, was nach der Sanierung mit dem Gebäude passiert.“ Die derzeitigen Sonderkonditionen werde es dann natürlich nicht mehr geben. „Aber ich würde mich auch mit einem Viertel der Räume begnügen.“

Dem Holländischen Viertel, wo die Galerie fast 20 Jahre residierte, weint Rainer Sperl keine Träne nach. „Es ist ein dekorativer Stadtteil mit einer gastronomischen Meile, aber für höhere Kultur ist er nicht geeignet.“ Ein Neubeginn sei für ihn unbedingt wichtig: „Es ist schön, noch mal richtig durchzustarten.“ Und mit welcher Kraft und Lebensweisheit er das tut, wird auch eine Ausstellung zeigen, mit der er sich selbst ab 19. November im Kutschstall präsentiert. Thema: 60 Jahre BRD, „was bei mir natürlich weniger politisch als zwischenmenschlich ins Visier genommen wird“, so der Plastiker, dem der Schalk im Nacken sitzt und dessen zwielichtige Keramik-Schrott-Figuren noch jeden zum Schmunzeln brachten. 50 neue Arbeiten sind in den vergangenen zwei Jahren entstanden, wie „Die Frau des Volkspolizisten“, „Laika, der erste Hund im Weltall“ oder Matthias Platzeck und Johanna Wanka – „die Arbeit ist vor Rot-Rot entstanden“ – in barocken Kostümen. So wie es sich fürs Schloss gehört, das Sperl für einen Affront gegen die Architektur hält.

„Als Jahrgang 49 habe ich die Republik überlebt und es gibt auch einen kleinen Sonnenuntergang. Ich bin froh, die DDR kennengelernt zu haben, aus Sicht der Geschichte kann ich sagen: ,Ich war dabei’.“ Seinen Frust ließ er im Kabarett ab, wo er als Grafiker arbeitete. „Ich bin dann relativ schnell im neuen Deutschland angekommen, konnte eine private Galerie eröffnen, was in der DDR nie möglich gewesen wäre.“

Ins neue Lebensjahrzehnt wird nun mit der ehemaligen Potsdamer Band „Prolog“ hineingetanzt, die sich extra für seine Feier reanimierte und rund um das von Freunden bestückte Buffet mit Rock-Klassikern aufwartet: Für Rainer Sperl, der vor 60 Jahren in Chemnitz zu Hause geboren wurde. „Da mein älterer Bruder ein Brüller war und ich nicht so werden sollte, ließ mich meine Mutter die erste Nacht durchschreien. Ich war zu groß, zu schwer und zu spät und hatte sehr lange Fingernägel.“ Als die Mutter am nächsten Morgen nach dem Sohn schaute, war er blutüberströmt. „Ich hatte mir das ganze Gesicht zerkratzt, die Narben sind noch heute zu sehen. Aber ich war fortan das liebste Kind unter uns vier Geschwistern. Nach dieser Nacht habe ich nur noch gebastelt.“ Heidi Jäger

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