Kultur: Aus dem Leben geschöpft
Die in Groß Glienicke arbeitende Malerin und Bildhauerin Margaret Hunter setzt auf Symbole und auf die Figur
Stand:
Eine Frau beugt sich tief nach vorne. Ihr langes Haar fällt in weichen Kaskaden herab. So zumindest der erste Eindruck. Was sich da jedoch nach unten kringelt, ist genau genommen eine Spirale. Die Haartracht der weiblichen Figur ist nur angedeutet, ihr Körper hüllenlos. Dennoch wirkt sie weder nackt noch ausgeliefert. Ein dunkelrotes monumentales Blatt ist wie ein Segel diagonal über die Fläche gespannt und wird für die Gestalt zu einer Art Rückendeckung. Der Titel des Bildes lüftet das Rätsel – zumindest ein wenig. „Other thoughts“, andere Gedanken, verknüpfen die Frauengestalt mit der äußeren Welt: verdichtet, materialisiert in Form einer Spirale.
Die Verwendung geometrischer und symbolischer Formen ist Margaret Hunter, Malerin dieses Bildes, längst in Fleisch und Blut übergegangen. Als die schottische Künstlerin Mitte der achtziger Jahre nach Berlin kam, ohne wirklich ein Wort Deutsch zu sprechen, suchte sie nach anderen Wegen, um sich mitzuteilen. Dabei wurde die Urform der Spirale zum Ausgangspunkt einer Bildsprache, die ganz und gar typisch für ihre künstlerische Handschrift geworden ist. Außer Spiralen sind es Kreise, Dreiecke, Ellipsen und Trichterformen, die in den Bildern und Skulpturen Margaret Hunters wie Symbole funktionieren. Entstanden ist ein Zeichensystem, mit dem die Künstlerin unterschwellig ständig arbeitet.
Diese geometrischen Elemente übernehmen eine wesentliche Rolle, da sie den Figuren wie ein Attribut beigegeben werden. Es hat die Funktion inhaltlich zu pointieren und, bezogen auf die Komposition, ein Gegengewicht zur Figur zu bilden. Dieses Gestaltungsprinzip Margaret Hunters zieht sich durch einen Großteil ihrer Arbeiten, angefangen von der Skizze bis hin zur lebensgroßen Holzskulptur.
Im Zentrum ihrer Kunst und ihres Interesses steht eindeutig die menschliche Figur und Körperlichkeit. Den tragenden Part dabei übernehmen Frau und Weiblichkeit – Leitmotiv einer Künstlerin, deren Blickwinkel auf das Leben und die eigene Existenz eine entschieden weibliche Prägung hat. Aufgewachsen mit drei Schwestern durchlebte Margaret Hunter durch frühe Heirat, Mutterschaft, Scheidung, zweite Ehe und Witwenschaft elementare Stationen weiblicher Existenz. In ihrem figürlichen Ausdruck wird daher speziell die weibliche Figur zum Dreh- und Angelpunkt von Empfindung, Erinnerung und Reflexion. Auf der einen Seite verkörpert sie weibliche Blüte, auf der anderen Verletzbarkeit.
Am deutlichsten spürbar wird dies in der starken Präsenz, die von Hunters Holzskulptur ausgeht. Die mit Kettensäge und Beil aus schweren Holzstämmen herausgearbeiteten Figuren erinnern in ihrer Ursprünglichkeit an die Formensprache außereuropäischer Stammeskunst. Und in der Tat kam Margaret Hunter bereits als Kind mit afrikanischer Skulptur in Berührung, als sie mit ihrer Familie für einige Jahre in Nigeria lebte. Der tiefe Eindruck, den die afrikanische Plastik in ihr hinterließ, nahm jedoch erst viel später Gestalt an. Die ausdrucksstarke Holzskulptur von Georg Baselitz, von dem Margaret Hunter nach ihrem Studium an der Glasgow School of Art noch so einiges mit auf ihren künstlerischen Weg nahm, hat dabei wie ein Katalysator gewirkt. Ihre seither ausschließlich aus Holz entstandenen, oft mannshohen Figuren sind von Rissen und Kerben gezeichnet: Lebensspuren, Verletzungen auch, die jeder einzelnen Figur ihre individuelle Prägung verleihen. Aber auch in ihren mitunter sehr farbigen, durchaus heiteren Bildern haben Erinnerungen, Gefühle und Gedanken ihre Spur hinterlassen.
Manchmal arbeitet sich die Künstlerin mit dem Spachtel oder einem anderen scharfen Gegenstand durch die Farbschichten vor bis auf den Grund. Eine gewisse Unruhe brodelt da unter der Oberfläche hervor. Innere Zerrissenheit zwischen ihrer schottischen Heimat und dem neuen Lebensmittelpunkt im geteilten Berlin hatte die Kunst Margaret Hunters anfänglich ganz entscheidend geprägt. Sie habe bisher sehr viel Glück gehabt und dennoch manches tiefe Tal durchschritten, zieht die 60-Jährige heute Bilanz. In ihrem Groß Glienicker Atelier zeugen die tagtäglich neu entstehenden Zeichnungen und die wachsende Schar ihrer Bilder und Skulpturen von ungebrochener Vitalität. Ausstellungen und Arbeitsaufenthalte führen die Malerin und Bildhauerin nach wie vor nach Schottland und England. Aktuell sind Zeichnungen, Malerei und Skulptur von Margaret Hunter in einer sehenswerten Ausstellung mit dem Titel „Maiden Chambers“ in der Galerie Mathematische Fachbibliothek Berlin zu sehen.
Almut Andreae
"Maiden Chambers" bis zum 25.11.: Galerie Mathemat. Fachbibl. der TU Berlin, Straße des 17. Juni 136, Mo-Fr 9-20 Uhr.
Almut AndreaeD
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