
© Andraes Klaer
Von Heidi Jäger: Aus der Fuge
Breakdance trifft Klassik: „Red Bull Flying Bach“ erobert an zwei Abenden den Nikolaisaal
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Sie sind cool und doch ganz von der alten Schule. Bevor sie am gestrigen Donnerstag mit ihrer Probe beginnen, springen die sieben B-Boys mit den schräg sitzenden Basecaps von der Bühne und begrüßen jeden „Zaungast“ mit Handschlag. Dann wird die frisch gewienerte Bühne geprüft, ob sie auch rutschfest ihren akrobatischen Tanzkünsten Stand halten wird. Vartan, der Gründer der Gruppe, greift selbst noch mal zum Wischmopp, um die glänzende Fläche startklar zu machen: Denn hier steht gleich Bach auf dem Kopf. Und ist doch ganz der „Alte“. Sein „Wohltemperiertes Klavier“ nehmen die Jungs von „Flying Step“ in rasanten Bewegungen unter Füße und Hände und drehen punktgenau die Töne im Karussell. Kampf, Streit, Trauer und Freude – die Stimmungen variieren im Auf und Ab der Noten. In der ausgefeilten Choreografie Vartan Bassils werden die Präludien und Fugen zu einem akustisch-optischen Gesamtvergnügen.
Mit „Red Bull Flying Bach“ holt der Nikolaisaal eine Erfolgsgeschichte auf die Bühne, die schon in der Berliner Neuen Nationalgalerie für Furore sorgte und Tausende Besucher ums Haus herum Schlange stehen ließ. Mit ihrer einzigartigen Klassik-Eroberung gewannen die sieben B-Boys und die Tanzperformerin Yui Kawaguchi den Echo Klassik Sonderpreis 2010. Dass ihre Mischung aus Klassik und Breakdance, die die Grenzen zwischen Jugendkultur und traditionellem Tanztheater sprengt, nun in Potsdam zu Gast ist, liegt an der Euphorie, die die Mitarbeiter des Nikolaisaals packte, als sie das Ereignis in Berlin sahen. Sie überzeugten die sympathische Crew, die eigentlich ausgefallene Räume bevorzugt, nun den eher konservativen Konzertsaal mit Poppings, Lockings, Housedance und HipHop Styles aufzupeppen. „Hier können wir noch mehr durch Licht und Kostüme herausholen als in der Nationalgalerie und auch ein zweites Cembalo neben dem Klavier einsetzen“, sagte Produzent Tim Zolpys. Dennoch wollen sie minimalistisch bleiben, „denn weniger ist manchmal mehr“, betont er. Neben der Live-Musik gibt es auch elektronische Beats vom Band, die in Anlehnung an Bach von den Brüdern Ketan und Vivan Bhatti bearbeitet wurden. Und es gibt eine Story. „Das ist uns immer besonders wichtig“, sagt Vartan, der im Libanon geborene Armenier. Er erzählt sogleich die einfach gestrickte Geschichte, während sich seine Jungs, mit denen er seit 1993 zusammen „fliegt“, noch in Posen üben. „Es gibt sechs Tänzer und einen Lehrer. Die Gruppe trainiert für ihren großen Auftritt. Plötzlich will eine Primaballerina bei uns mitmachen. Wir wollen sie nicht. Ihr Stil ist nicht unser. Aber dann verliebt sich Benny in Yui, und die Konflikte in der Gruppe sind vorprogrammiert.“ Am Ende kommt alles wieder ins rechte Lot. Die Jungs mit der rauen Schale offenbaren ihren weichen Kern.
Die Grenzen zwischen Breakdance und Modern Dance verwischen während der einstündigen Vorstellung, so wie sich auch das bürgerliche Publikum mit der „Szene“ mischt, Enkel und Großeltern sich gleichermaßen an dieser neuartigen Mixtur erfreuen, wie es die „Flying Steps“ schon so oft erlebten. Nach der Nationalgalerie auch beim renommierten Bachfest in Leipzig und im Dezember beim Bachfest in Montreal, auf das sie sich im Potsdamer Nikolaisaal vorbereiteten und schließlich mit Ovationen in der kanadischen Kirche gefeiert wurden. „Das hat uns beflügelt, die Nummer weltweit aufzuführen“, sagt Tim Zolpys. Im Juni reisen sie nach Istanbul und Ankara, auch London steht im Kalender. Ende August touren sie dann drei Monate durch Deutschland, darunter an einen Ort, der noch nie bespielt wurde. „Das wird ein Knall im All“, macht Tim Zolpys neugierig, ohne mehr zu verraten. Auch beim Bundespräsidenten sind sie eingeladen. „Zum zweiten Mal. Das ist wie ein Ritterschlag – haben wir gehört“, freut sich der Produzent.
Die Idee zu „Flying Bach“ entstand im Dialog zwischen den für seine Opern-Adaptionen bekannten Dirigenten Christoph Hagel und Vartan, den 35-jährigen Tänzer, der unbedingt in die Klassik vordringen wollte. „Wir sind nicht nur Straßentänzer, die sich auf dem Kopf drehen, sondern Künstler. Und das sollte auch außerhalb der Szene anerkannt werden. Wenn eine Balletttänzerin zur klassischen Musik zehn Runden auf den Fuß dreht, können wir das auch auf dem Kopf.“ Doch um Bach zu „knacken“, mussten die Jungs erst einmal die Welt der Noten erkunden, lernen, was eine Fuge, ein Präludium, ein Kontrapunkt ist. Christoph Hagel nahm sie dazu unter seine Fittiche. Nun tanzen die Jungs vom „Blatt“, jeder Tänzer verkörpert eine andere Stimme. „Wir haben jedes Stück bis zu 40 Mal gehört, bis wir die Stimmen herausgehört haben“, so Vartan. Die B-Boys visualisieren, was Bach vor rund 300 Jahren für die „lehrbegierige Musicalische Jugend“ in einer kunstvollen Kompositionstechnik zusammengestellt hat. Und müssen sich dabei keineswegs beschneiden. Die Flying Steps leben ihre akrobatische Meisterschaft aus und setzen neue Akkorde hinzu. Die Crew kann sich vor Anfragen kaum retten, die nächsten drei Jahre fliegen die vierfachen Breakdance-Weltmeister jedenfalls mit Bach über die Bühne.
25. und 26. März, 20 Uhr, Nikolaisaal, es gibt nur noch wenige Restkarten
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