zum Hauptinhalt

Kultur: Aus der Puppentraum

Die israelische Produktion „A Tale of a Lonely Man“ war als deutsche Erstaufführung am Sonntag bei Unidram zu sehen

Stand:

Träte Sigmund Freud jetzt durch die Tür, eine Überraschung wäre es nicht. Nicht nur, dass die düstere Holzvertäfelung, der grüne Teppich und die zierlichen Lampen an die 20er Jahre erinnern. Die gesamte Bühne, mit der geschlossenen Tür, den Wandschränken und den Schubläden – all das scheint nach Versteck, Verdrängung, Verschlossenheit zu schreien. Allerhand ist hier verborgen, das ist klar. Und einen Kandidaten für den Patienten gäbe es auch. Der (Ofer Amram) sitzt still auf einem Stuhl in der Bühnenmitte, den Kopf nachdenklich oder einfach nur kraftlos gebeugt. Dass das Grammophon im Leerlauf knarrzt, merkt er nicht. Er scheint am Ende.

Dabei ist das erst der Anfang von „A Tale of a Lonely Man“, der ersten Regie des Schauspielers Ofer Amram. Die israelische Produktion, die als deutsche Erstaufführung am Sonntag bei Unidram gastierte, beginnt mit einer großen Stille und wird am Ende zu ihr zurückkehren. Dazwischen liegt der wortlose Versuch eines Mannes, sich aus seiner Isolation herauszuträumen, liegen Liebesspiele – und Kämpfe, Gewalt und Zärtlichkeit und viel melancholische Cello-Musik (Yuval Mesner) aus dem Grammophon. Zu bestimmen, was von den Geschehnissen auf der Bühne wirklich geschieht, was Phantasie und was Realität ist, wird immer schwerer, je länger man dem „lonely man“ auf der Bühne zusieht. Und auch die Frage, wer hier wen träumt, muss immer wieder neu gestellt werden. In dieser Verquickung liegt die geradezu hypnotische Kraft des Abends.

Zunächst einmal aber betritt nicht Herr Freud die Bühne, sondern eine schmale Gestalt (Oleg Rodovilski), die tröstend, fast gottgleich dem traurigen Mann eine Gefährtin baut. Aus den Verstecken im Bühnenbild nimmt er ein paar Schuhe, einen Arm, einen Torso, eine Maske. Fertig ist die Traum-Frau, eine lebensgroße, gesichtslose Puppe im fliederfarbenen Kleid. Mit Musik aus dem Grammophon erweckt unser schmaler Gott den traurigen Mann zum Leben, der wiederum die Puppe belebt. Eine ungleiche, ungesunde Liebe beginnt. Wie der Mann und seine hölzerne aber gelenkige Liebste sich annähern, umschlingen, in orgiastischen Bewegungen zusammenfinden ist enorm sinnlich und verstörend zugleich. Denn da, wo das Spiel mit der Puppe am zartesten, poetischsten ist, lässt Ofer Amram es plötzlich kippen. Und legt damit das wahre Verhältnis bloß: zwischen einem Mann und einer willenlos sich fügenden Puppe. Aus der Liebes- wird eine Vergewaltigungsszene.Wie trügerisch die Liebe zu einem Ideal ist, zeigt Renana Raz, die als echte Frau in das künstliche Idyll bricht. Die Darstellerin ist eine der führenden jungen Choreografinnen Israels, die schon zuvor mit Ofer Amram arbeitete. Ihre Präsenz bezaubert vom ersten Moment.

Zu Beginn fügt sie sich, lächelt, bewegt sich puppenhaft steif, übernimmt willig den Part der hölzernen Konkurrentin. Eine seltsame ménage à trois entwickelt sich: Wo vorher vier Hände waren, sind jetzt sechs. Dass im Liebesspiel die steifen Puppenfinger den menschlichen Kontakt verhindern, stört den Mann nicht– die Frau schon. In einer Szene führt sie die Hand des Mannes an ihr Herz, so wie er es vorher mit der Puppe durchgespielt hatte. Der Mann will jedoch nichts Pochendes, er will Fügsamkeit, Kontrollierbarkeit, Macht. Die lebendige Frau kämpft, bittet, wütet. Schließlich aber geht sie selbst. Aus der Puppentraum. Immerhin: So entkommt wenigstens eine dem Vorzimmer Freuds. Die beiden Männer – wer ist jetzt der einsame aus dem Titel? – bleiben zurück. Ihre eigenen Gefangenen. „A Tale of a Lonely Man“ ist eine stille, traurige, fast hoffnungslose Geschichte. Für Humor, selbst Ironie ist in dieser Düsternis kein Platz. Nichts ist hier leicht, jede Bewegung so bedeutungsschwanger wie die Musik von Yavel Mesner, die ein ähnliches Thema mal als Solo, mal als Duett, mal als Trio variiert. Regisseur Ofer Amram nennt sein Stück dennoch ein Märchen. Und irgendwie sieht es sich auch so: hermetisch verschlossen in seiner eigenen Welt, ohne Brechung.

Heute, 18 Uhr, gibt es die „Lange Nacht der Experimente; morgen, 20 Uhr, das Theater Nadi mit der Charms-Produktion „Himmelkumov und andere Persönlichkeiten“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })