
© Promo
Ben Becker liest im Nikolaisaal: Aus einem zerscherbten Leben
Ben Becker und Giora Feidman erinnern mit „Zweistimmig“ an den Dichter Paul Celan. Am kommenden Dienstag treten der Schauspieler und der Klezmer-Musiker im Potsdamer Nikolaisaal auf.
Stand:
Es ist ein gewaltiger Anspruch, den Ben Becker an sich und das Publikum stellt: Mit „Zweistimmig“ will er den Dichter Paul Celan als Mensch und Künstler auf die Bühne holen. Und gleichzeitig die Zuhörer ermutigen, neugierig machen, sich mit Celan und dessen Dichtung zu beschäftigen. Wenn Ben Becker am Dienstag im Nikolaisaal die Gedichte des 1970 verstorbenen Celan liest, wird er von einem großartigen Musiker begleitet. Denn für das Projekt „Zweistimmig“ hat sich der Berliner Schauspieler einen Seelenverwandten gesucht: den Klezmer-Musiker und Klarinettisten Giora Feidman.
Geplant war ihre Zusammenarbeit schon lange, betonen beide bei einem Gespräch im Büro der Berliner Konzertagentur. Die Adresse, Oranienburger Straße, stimmt nachdenklich: Ein paar Häuser weiter leuchten die Kuppeln der Neuen Synagoge, und gleich wird Ben Becker erklären, warum er Gedichte des deutschsprachigen jüdischen Dichters, vielleicht des größten Nachkriegsdichters überhaupt, lesen will. Und schnell wird klar, warum er dafür Feidman braucht: Der Klarinettist wird mit seiner Musik den Worten, einer „messerscharfen Zustandsbeschreibung“, wie Becker Celans Lyrik nennt, ein musikalisches Lager bereiten. Er wird Trost spenden und aufbauen, aufspielen. „Auf--spielen, ja, auf-spielen!“, sagt Becker und führt, während er spricht, die nach oben geöffnete Handfläche in die Höhe.
Er ist ein Schauspieler, kein Vorleser. Und wenn er spricht, wenn beide, Feidman und Becker, über Paul Celan reden, dann scheint es so, als sei er anwesend.
Paul Celan wurde1920 in einer deutschstämmigen jüdischen Familie in der Bukowina, Nordrumänien, geboren. 1942 werden seine Eltern deportiert, der Vater stirbt im Lager an Typhus, die Mutter wird erschossen. Paul Celan überlebt verschiedene Arbeitslager, kann nach dem Krieg studieren. Das Trauma des Schicksals seiner Eltern und einer möglichen Schuld belastet ihn fortan. Und findet sich in seiner Lyrik wieder. Auch und besonders in der „Todesfuge“, geschrieben 1944/1945, kurz bevor der Philosoph Theodor W. Adorno jegliche Dichtung nach der Menschheitskatastrophe, der Vernichtungslager von Auschwitz, infrage stellt.
Celan ficht das nicht an. Er schreibt. „Natürlich wurde er dafür kritisiert“, sagt Feidman, „wie kann er bloß in so einer wunderschönen Sprache über diese schlimme Zeit schreiben – in so beautiful Deutsch, als ein Opfer Deutschlands!“ Feidman schüttelt den Kopf, als sei er immer noch verwundert. Dann streckt er langsam seine Arme über den Tisch und sagt: „Das ist so großartig, Juden und Deutsche werden das gemeinsam hören!“
Feidman, geboren in Buenos Aires, Kosmopolit, gerade 77 Jahre alt geworden, ist Versöhnung ein Anliegen. Dafür braucht es Seele, und die finden sie in der Lyrik von Paul Celan, in der Stimme von Becker, in der Musik der Klarinette. „Man kann den Körper töten“, sagt Feidman bedächtig, „aber die Seele nicht.“
Er macht es sich nicht leicht, der Schauspieler Ben Becker, mit der tiefen, warmen Stimme, die schnell mal wie aus Versehen zu laut wird. Den Gedichtband „Mohn und Gedächtnis“ habe er aus seinem Bücherschrank hervorgekramt und erst Mal nichts verstanden. „Bei Celan muss man alles auseinandernehmen“, sagt er. „Lesen Sie, und Sie werden verstehen. Das war sein Anspruch!“, so Becker über Celan, der sein Publikum herausforderte. Und nimmt als Beispiel das Gedicht „Coagula“ auseinander, übersetzt Blutgerinnsel: Celan habe hier eine Geschichte von Rosa Luxemburg verarbeitet, die beobachtet habe, wie Soldaten einen Büffel schlachten, und dabei in dessen blutrote Augen geschaut. „Das ist so vielschichtig, da musst du hinterher. Ohne zu graben kommt man bei Celan nicht hinterher.“ Ben Becker hat gegraben.
Die wissenschaftliche Annäherung an den Dichter, der 1970 den Freitod wählt, sich am 20. April in die Seine stürzt, ist das eine. Die emotionale ist noch einmal etwas anderes. „Man kann nicht Celan lesen ohne die Todesfuge, und der muss man sich auch stellen“, sagt er deutlich über das Gedicht, das den Massenmord am jüdischen Volk in den Gaskammern thematisiert. Die Frage, wie er lesen wird, beantwortet er im Ausschlussverfahren. Nicht im Singsang eines Klaus Kinski oder wie Celan selbst. „Damals hat man gesagt, der liest ja wie Goebbels“, sagt Becker. Umstritten war er ohnehin, für die Verwendung der deutschen Sprache, der Tätersprache, und dass er überhaupt über den Holocaust Gedichte schrieb. So hat er vielleicht seine Sprachlosigkeit verarbeitet, vermutet Ben Becker. Collagenhaft sein persönliches Schicksal, historisches Wissen und literarisches Material von ihm verehrter Dichter in seine Werke gepackt.
Ben Becker wird auf der Bühne keinen wissenschaftlichen Vortrag halten: „Ich lese und gebe die Emotion meines Wissens an das Publikum weiter, dazu kommen Briefe von Ingeborg Bachmann an Celan oder Briefwechsel mit seiner Frau und dokumentarische Schnipsel. Es ist ein Versuch, den Dichter auf die Bühne zu stellen und nach vorne zu bringen. Ein Angebot an das Publikum: Haben Sie Lust, sich mit ihm auseinanderzusetzen – oder nicht?“ Außerdem sei er ja nicht allein. „Giora übernimmt die Tiefe mit seinem Spiel, ich und Herr Celan geben hin und wieder ab an Giora. Sein Spiel ist begleitend, interpretierend. Oder tröstend. Es geht ja durchaus manchmal an’s Eingemachte.“
„Gott hat uns drei zusammengefügt“, sagt Feidman lächelnd. An Celan hatte er davor nie gedacht. „Ich habe Ben in den Swimmingpool gestoßen und dort haben wir Celan gefunden. Ja, so war es“, sagt Feidman, und Becker lacht. Darf man lachen im Zusammenhang mit Paul Celan, darf man etwas schön finden an seinem Werk? „Celan war ein lustiger Mensch, er liebte das Leben, und barg andererseits viel Traurigkeit, eine gewisse Melancholie in sich “, sagt Becker bestimmt. „So wollen wir ihn erinnern, wir spielen aus seinem zerscherbten Leben, ich beim Lesen, Giora auf seiner Klarinette.“ Ob er noch da ist? „Die Antwort gibt er uns“, sagt Becker, blättert in dem kleinen schwarzen Buch „Mohn und Gedächtnis“ und beginnt zu lesen, mit leiser doch unnachgiebiger Stimme: „Es ist Zeit, daß man weiß! Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt, daß der Unrast ein Herz schlägt. Es ist Zeit, daß es Zeit wird.“
Ben Becker und Giora Feidman mit „Zweistimmig“ am Dienstag, dem 9. April, um 20 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten unter Tel.: (0331)28 888 28
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: