Kultur: Ausgefeilt
Günter de Bruyn las im HOT aus „Als Poesie gut!“
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„Als Poesie gut!“, befand Friedrich Wilhelm III. irnonisch, als August Graf von Gneisenau ihm eine Denkschrift zur Reform des Heeres überreichte. Abgelehnt, sagte der Militär, und machte ihm klar, dass nicht nur sämtliche Gefühle sittlicher und religiöser Art von der Poesie abhingen, sondern auch die Sicherheit seines Thrones. Mit dieser Anekdote eröffnete Schriftsteller Günter de Bruyn am Sonnabend im Hans Otto Theater die Vorstellung seines neuen Buches, welches dieses Bonmot zum Titel erhebt. Mit 49 literarisch ausgefeilten Miniaturen unternimmt der gebürtige Berliner den Versuch, die intellektuell-kulturelle Landschaft von Preußens Hauptstadt um die Wende zum 19. Jahrhundert namhaft zu machen. „Berliner Klassik“ sagen manche über jene Jahre zwischen 1786 und 1807, weil hier die Künste sämtlich (anders in Weimar) erblühten, als würde Friede sie erst zum Leben erwecken. Es war aber nur vorübergehende Neutralität gegen den Europabeherrscher Napoleon. Eine faszinierende, vielbeschriebene Zeit jedenfalls, besonders für einen Autor, dessen Vorliebe fürs Märkische genauso erwiesen ist wie seine Akribie beim Recherchieren und beim Schreiben. Es hätte des Dankes zum vollbesetzten Parkett also gar nicht bedurft, de Bruyn muss hierzulande kaum fürchten, vor leeren Theatersesseln zu lesen, und im Foyer waren geradezu Berge seiner Bücher aufgebaut, die man kaufen und signieren lassen konnte.
Der märkische Forscher, 1926 in Berlin geboren, seit 1961 freischaffend, hatte als gelernter Bibliothekar schon berufsbedingt eine Vorliebe für alles Gedruckte, besonders fürs Detail. Er treibt die Präzision gar so weit, dass es Tage braucht, um herauszufinden, wo der Philosoph Fichte vor seinem letzten Umzug von Berlin nach Berlin wohnte. Siebenhundert Namen fasst das Personenregister zum Buch, die Hälfte davon erscheint im Text als Akteure, mit Name und Adresse, wie Peter Walter vom veranstaltenden Brandenburgischen Literaturbüro nach der Lesung bemerkte. Typisch de Bruyn, genau, und dann noch gut lesbar.
Vier jener Mosaiksteine aus jener meist jüdisch geprägten „Glanzzeit“ Berlins waren zu hören. Johann Gottfried Schadows Aufstieg vom Schneidersohn zum königlichen Hofbildhauer begann mit der Flucht vor einer ungewünschten Ehe, weil er sich in eine schöne Jüdin aus Wien verliebt hatte. In Rom wurde katholisch geheiratet. Als er 1787 in der eigenen Kutsche nach Berlin heimkehrte, schwärmte seine Mutter: „Gottfried sieht aus wie Apoll!“ Später fand er natürlich zu den Protestanten zurück. Von solchen Details aus liest und hört man de Bruyn besonders gern. Eine Liebesgeschichte ganz anderer Art entwickelte sich zwischen der Salon-Dame Henriette de Lemos und Markus Herz, dem Lieblingsschüler von Immanuel Kant, woraus sogar eine Geheimgesellschaft, „Der Tugendbund“, entsprang. Von der Weltschmerz umhüllten Freundschaft zwischen Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder erzählte der bekennende Aufklärer de Bruyn mit Augenzwinkern. Part vier endete tragisch: Jahrelang mühte sich Ludwig von der Marwitz um die Berlinerin Franziska von Brühl, die 17-jährig noch so unschuldig wie naiv war. Als beide endlich ein Paar waren, starb sie ihm kurz nach der ersten Geburt. Der trauernde Gatte schrieb auf ihren Grabstein: „Hier liegt mein Glück“. Das durfte Günter de Bruyn nach diesem Abend auch für sich geltend machen. Poesie in Prosa, viel Anregung, langer Applaus.
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