Kultur: Ausgegrenzt, überfordert
„Die Jüdin von Toledo – Franz Grillparzers „historisches Trauerspiel“ hat morgen am HOT Premiere
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Lion Feuchtwangers Roman „Die Jüdin von Toledo“ kennt so mancher deutscher Leser. Vor 1990 wurde die Geschichte von der Liebe Rahels, Tochter des jüdischen Kaufmanns Jehuda Ibn Esra, zum kastilischen König Alfonso VIII. in beiden deutschen Staaten ediert. Man hat diesen spannenden und bewegenden Roman mit großer Anteilnahme gelesen. Aber das gleichnamige Schauspiel des österreichischen Dichters Franz Grillparzer? Zu DDR-Zeiten war es wohl in keinem Theater zu erleben, auch auf einer bundesdeutschen Bühne selten. Die DDR-Kulturpolitik hielt sich in Sachen Grillparzer an die Worte des Kulturtheoretikers Franz Mehring: „ Grillparzer ist großen Schichten der deutschen Nation, so namentlich den arbeitenden Klassen, doch mehr oder weniger fremd geblieben. Wie in seinem Leben, so liegt auch in seinem Dichten etwas Gebundenes und Gebrochenes, das auf kampffreudige Klassen nicht gerade anziehend wirkt.“
Auch die Theaterstücke der österreichischen Grillparzer-Kollegen Johann Nestroy und Ferdinand Raimund standen und stehen hierzulande nur spärlich auf den Spielplänen. Fährt man aber im Sommer durch Dörfer und Städter in Niederösterreich, so findet man überall Plakate, auf denen Aufführungen ihrer Stücke mit professionellen Theatertruppen und Liebhaberbühnen in Gasthäusern, Schlosshöfen oder auf Burgen angekündigt werden.
Nun soll „Die Jüdin von Toledo“ von Franz Grillparzer (1791-1872) in Potsdam bekannt gemacht werden. Das Hans Otto Theater zeigt ab morgen zum Auftakt der neuen Saison und der zweiten des im vergangenen September eröffneten Theaters am Tiefen See das hochdramatische Stück unter der Regie von Jacqueline Kornmüller.
Auch der Regisseurin und ihrer Titeldarstellerin Julia Malik waren Grillparzers „historisches Trauerspiel“ unbekannt. „Als man mich fragte, ob ich die Rolle in Potsdam spielen wolle, griff ich zum Buch und las das Stück in einem Atemzug. Es hat mich nicht losgelassen, ich war davon tief berührt,von der wunderbar musikalischen Sprache und von dem spannenden Stück“, erzählt die junge Schauspielerin. Es war aber zunächst noch nicht klar, ob sie für die Rahel engagiert werden würde, denn es stand ja noch das Vorsprechen bevor. Das hat Julia Malik bestens bestanden. Und das Engagement für die Jüdin hatte sie in der Tasche. Dabei hat die Schauspielerin, die aus Berlin-Charlottenburg stammt, im Süden Deutschlands aufwuchs, an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater ihr schauspielerisches Handwerk unter anderen bei der renommierten Jutta Hoffmann erlernte, gut in ihrem Beruf zu tun. Die heute in Berlin Lebende überlegte zunächst, ob sie überhaupt Schauspielerin werden wolle. Denn auch für das Musizieren auf der Geige hatte sie ein großes Herz. „Musikerin hätte ich mir als Beruf gut vorstellen können. Mehrere Stunden hab ich nämlich am Tag auf dem Instrument geprobt. Doch dann habe ich entdeckt, dass mir dabei die Sprache und der Ausdruck mit dem Körper fehlen.“ Und so hat sie sich aufgemacht, Schauspielerin zu werden. Aber die Geige hat sie dennoch nicht an den Nagel gehängt. Julia Malik spielt, wenn es ihre knappe Zeit erlaubt, in einer von ihr mitgegründeten Band, die aus einem Streichquartett besteht. Vor allem weicher, melancholischer Pop ist bei „Hands up excitement“ angesagt. Als Schauspielerin ist sie am Staatsschauspiel Hannover oder am Hamburger Schauspielhaus zu erleben. Gleich nach der morgigen Premiere muss sie in die Hansestadt, denn Mitte Oktober kommt dort Henning Mankells Stück „Lampedusa“ heraus, in dem sie eine Hauptrolle spielt. Auch dem Fernsehpublikum ist sie keine Unbekannte. In den verschiedensten Filmen versicherte man sich ihrer Mitwirkung. Und dann erzählt Julia Malik, dass sie auch in der Telenovela „Verliebt in Berlin“ dabei war. „Das halbe Jahr, in dem ich in der Serie spielte, war keine verlorene Zeit. Ich habe dabei viel gelernt. Man muss sehr flexibel sein, denn 20 Szenen wurden täglich gedreht. Auch immer wieder neue Texte waren zu lernen, von oftmals wirklich guter Qualität. Und im übrigen fand ich die Rolle herrlich komisch.“
Jacqueline Kornmüller, die aus Garmisch-Patenkirchen stammt, an der Essener Folkwangschule zur Schauspielerin ausgebildet wurde, in diesem Beruf in Köln spielte, hat sich längst als Darstellerin von der Bühne verabschiedet. Als Regisseurin hat sie sich an deutschen Theatern aber einen Namen gemacht, in Lübeck, Stuttgart oder Hamburg. Mit ihrer Stuttgarter Inszenierung „Bremer Freiheit“ von Rainer Werner Fassbinder wurde Jacqueline Kornmüller im Jahre 2001 zum „Prager Theaterfestival deutscher Sprache“ sowie 2003 zum „Tschechow-Theater-Festival“ nach Moskau eingeladen.
Die Regisseurin möchte am Theater Geschichten in Szenen setzen, die sie bewegen und von denen vielleicht auch die Zuschauer bewegt werden. „Die Jüdin von Toledo“ ist für sie ein solches Stück, ein sehr politisches. „Alfonso VIII., König von Kastilien, ist für die Macht eigentlich ungeeignet, weil sie ihn überfordert. Ich finde da ganz aktuelle Bezüge, beispielsweise zu Tony Blair, George Bush oder auch Nicolas Sarkozy.“ Alfonsos Liebesbeziehung zu Rahel beschwört einen Konflikt mit der Staatsräson herauf. Ein Mord im Namen des Staates wird schließlich an die Jüdin begangen, die in unserer Interpretation eine Muslimin ist. Der König sieht ihn als eine ,höhere Notwendigkeit’ an.“ Jacqueline Kornmüller sieht die Ausgegrenzten in unserer Gesellschaft vor allem in den Muslimen. „Sie sind die Juden unserer Zeit“.
Julia Malik sagt: „Rahel liebt Alfonso wie ein Kind. Sie ist naiv, sie tut alles für ihn, bis für sie die Welt zusammenbricht. Darin ist sie eine Vorläuferin von Wedekinds Kindfrau Lulu. Doch ich finde die Rahel bei Grillparzer noch geheimnnisvoller. Man muss sie ganz von innen her spielen“, so die Schauspielerin.
Premiere, 20.9., 19.30 Uhr, Neues Theater
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