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Die Magazinbestände sollen um die Hälfte reduziert und in andere Archive und Bibliotheken gegeben werden.

© Manfred Thomas

Von Heidi Jäger: Auslagern statt ausmerzen

Expertenkommission empfiehlt Stadt- und Landesbibliothek, Hälfte des Magazinbestandes abzugeben

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Die Regale drohen zu bersten, doch auch das neueste Buch muss noch hineingepresst werden. Eigentlich könnte man sich von einigen der vergilbten „Schwarten“ verabschieden, in die man ohnehin nicht mehr schaut und über die der Zeitenlauf und die eigene Entwicklung längst hinweg gefegt sind. Doch Bücher einfach im Papiercontainer entsorgen? Das klingt nach Scheiterhaufen, an dem man sich selbst die Finger verbrennt.

Mit diesem Vorwurf sah sich jetzt auch die Stadt- und Landesbibliothek konfrontiert. Beim Herausputzen vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan sollte das Haus Federn lassen. Um die 2,5 Millionen Euro gestiegenen Sanierungskosten zu drücken, schlug die Unternehmungsberatung Pricewaterhouse Coopers vor, den Magazinbestand um fast die Hälfte zu reduzieren, das heißt, 160 000 Medien zu entsorgen. Das erinnerte an „Bilderstürmerei“ und rief prompt zahlreiche Potsdamer auf die Barrikaden. Doch der Sachverstand scheint über das heiße Spiel mit Zahlen zu siegen. Die von der Kulturbeigeordneten Iris Jana Magdowski einberufene externe Expertenkommission unter Vorsitz des Marburger Professors Joachim-Felix Leonhard, lange Zeit Direktor der Universitätsbibliothek Tübingen und ehemaliger Staatssekretär im Hessischen Wissenschafts- und Kulturministerium, kam zu anderen Schlüssen. In einem neunseitigen Empfehlungspapier zur „Zukunftsorientierung der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam“ setzt die Kommission auf auslagern statt ausmerzen. In nur gut sechs Wochen stiegen die Experten in 100 Jahre Potsdamer Bibliotheksvergangenheit hinab und hoben die ureigensten Schätze. Vier Alleinstellungsmerkmale nannte Joachim-Felix Leonhard gestern auf einem Pressegespräch, mit denen Potsdam punkten könne: mit den historischen Beständen der Brandenburgica, der Pädagogik-Literatur aus der gesamten DDR-Ära, der russischsprachigen Literatur und dem DDR-spezifischen Buchbestand, der vor allem sozialgeschichtlich als Forschungsquelle von Bedeutung sei. Denn schließlich ist die Bibliothek am Platz der Einheit nicht nur für die Öffentlichkeit der Stadt von Bedeutung, sondern als Landesbibliothek auch für das wissenschaftliche Arbeiten. „Über Jahrzehnte Gewachsenes verdient in seiner Geschlossenheit bewahrt zu werden“, betonte Prof. Leonhard, der sich bereits beim Umzug des Rundfunkarchivs von Adlershof nach Babelsberg ehrenamtlich engagierte.

Doch müssen alle Bücher am exklusiven Standort mitten im Herzen der Stadt die knappen und teuren Räume füllen? Die Experten sagen Nein. Wenig genutzte Medien könnten ebenso gut in ein noch zu errichtendes Außenmagazin gelagert oder noch besser als geschlossener Teilbestand an andere Bibliotheken abgegeben werden. Damit sind sie zwar aus den Regalen am Platz der Einheit verschwunden, jedoch jederzeit über die Fernausleihe abrufbar. „Und einen Tag später hält man sie auch schon in der Hand“, so der Professor. Seine Kommission habe nicht wie die Unternehmensberater formal quantitativ, sondern nach Werten geschaut. Am Ende kam sie aber in etwa auf das gleiche Resultat. Um 700 bis 800 Quadratmeter und damit etwa um die Hälfte könnte das Magazin der Stadt- und Landesbibliothek durchaus verkleinert werden, wenn ältere und wenig genutzte Medien außer Haus gehen. Wie beispielsweise großformatige alte Zeitungsbestände. Leonhards Rechnung sieht vor, 600 Quadratmeter durch Auslagerung der medizinischen Bestände, 100 Quadratmeter durch naturwissenschaftliche und technische Medien aus DDR-Zeit und noch einmal 100 Quadratmeter durch Literatur aus der Land- und Forstwirtschaft einzusparen. Zu Makulatur würde er nur Dubletten erklären. „Doch das werden nach unserer stichprobenartigen Sichtung nur 10 bis 20 Quadratmeter sein.“

Laut Ferdinand Nowak, Referatsleiter vom Kulturministerium, finden bereits Gespräche mit Archiven und Bibliotheken statt, die vielleicht Interesse haben, die „Adoptivkinder“ an die Hand zu nehmen und in ein Netzwerk einzubinden. Während an anderen Bibliotheken mitunter schon viel aus DDR-Zeiten weggeworfen worden sei, wie Leonhard sagte, verfügt Potsdam beispielsweise über 3000 russischsprachige Bücher in seinem Magazin. „Wir hatten viele Sowjetbürger, die hier stationiert waren und auch das KGB-Gefängnis existierte hier. Doch wir wissen kaum, wie diese Menschen in unserer Stadt lebten. Solche sozialwissenschaftlichen Fragen stehen an“, sagte Nowak. Und die könnten auch durch Buchbestände mit geklärt werden.

Während Betagtes und wenig Genutztes aus der Stadtmitte verbannt werden soll, setzen die Experten auf einen lebendigen Ort der Kommunikation gerade bei jungen Menschen. „Die Bibliothek muss ganz massiv ein außerschulischer Lernort sein, der im Umgang mit den neuen Medien ebenso schult wie im Lesen. Junge Leute sollten sich nicht in Spielotheken treffen, sondern in der Bibliothek, die nach der Sanierung 2012 mit der Volkshochschule zusammengeht und zum ,Wissensspeicher’ wird“, so Leonhard.

Auch das Kulturamt überlegt, dort mit einzuziehen. „Es könnte aber ebenso eine Spezialbibliothek sein, die die vermietbare Fläche füllt. Ich bin nachrangig“, sagt Iris Jana Magdowski. Wichtig sei jetzt, dass es mit der Sanierung der Bibliothek zügig voran gehe, denn irgendwann könnten die dafür bereitgestellten Hauptstadtmittel versiegen. Für zweieinhalb Jahre wird die Bibliothek ab kommenden Frühjahr schließen, aber eine provisorische Ausleihe anbieten. Wahrscheinlich in den benachbarten Räumen der Fachhochschule. „Es macht ja keinen Sinn, viel Geld in den Umzug zu stecken“, betonte Magdowski. Der Vermittler dabei sei aber das Land.

Das bücherfressende Gespenst scheint sich also aus der Bibliothek verzogen zu haben. Und Zuhause wird weiter gequetscht. Oder nach Kartons für ein Auslagern im Keller gesucht.

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