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Kultur: Ausnahmezustand

Der Schriftsteller Ulrich Plenzdorf las in der Gedenkstätte Lindenstraße 54

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Der Schriftsteller Ulrich Plenzdorf las in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 Von Almut Andreae Ob er denn damals allen Ernstes geglaubt habe, dass dieser Text in der damaligen DDR irgendeine Chance bekommen würde, wollte eine sichtlich beeindruckte Zuhörerin von Ulrich Plenzdorf nach seiner Lesung in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 wissen, nachdem er mit seiner Geschichte „Kein runter kein fern“ zum Ende gekommen war. Dass es sich bei dem in der Tat vor Anprangerungen und kritischen Seitenhieben gegen die Unterdrückungsmechanismen des damaligen DDR-Regimes nur so wimmelnden Text um nicht mehr oder weniger als die Beschreibung eines ganz normalen Vater-Sohn-Konfliktes handele, konnte – und wollte – Plenzdorf als politischer Autor selbstverständlich niemandem von den damals zuständigen Zensurbehörden ernsthaft weis machen. Als er indes 1978 die Einladung zum Literaturwettbewerb nach Klagenfurt erhielt, bei dem es um die Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises ging, war es für Plenzdorf keine Frage, mit welchem Text er dort ins Rennen ging. Gleichwohl blieben bei der Umsetzung seines kühnen Vorhabens gewisse Heimlichkeiten nicht aus. Befand man sich doch – so Plenzdorf im Anschluss an seine Lesung am Mittwochabend im vollbesetzten Veranstaltungssaal des ehemaligen Stasi-Gefängnisses - damals in einer Art Kriegszustand. In einem Ausnahmezustand also, in dem so ziemlich jedes Mittel recht war, um das eigene Überleben zu verteidigen. Heute kann sich der 1934 in Berlin-Kreuzberg geborene Plenzdorf offen dazu bekennen, dass in bestimmten Situationen eine Lüge schon mal das einzig probate Mittel war, um nicht zum Opfer der damals praktizierten Willkür und Unterdrückung zu werden. Was nicht zuletzt und gerade auch Schriftsteller, zumal politische, und Freigeister vom Schlage Plenzdorfs anbetraf. Als Ulrich Plenzdorf für „kein runter kein fern“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis aus Klagenfurt zurückkam, musste er sich bittere Vorwürfe gefallen lassen. Ob er denn nicht gewusst habe, dass man als DDR-Autor erst einmal die Erlaubnis einholen müsse, um einen solchen Preis entgegen zu nehmen? Ja, dass es einem DDR-Autor vielmehr gar nicht gestattet sei, einen solchen im imperialistischen Ausland verliehenen Preis zu akzeptieren. Der mit 15 000 DM dotierte Preis blieb den DDR-Behörden übrigens immer vorenthalten. Den hatte Plenzdorf vorsichtshalber erst gar nicht mitgenommen... „Kein runter kein fern“ wurde also zunächst im Westen bekannt. Es musste erst die Wende kommen, bis der Text offiziell auch im ehemaligen Osten zugänglich war. Auch wenn seit seiner Entstehung mittlerweile drei Jahrzehnte vergangen sind, hat er von seiner Brisanz und Authentizität, von der sich auch das Publikum in der Lindenstraße offenkundig ergreifen ließ, bis heute nichts an Wirkung eingebüßt. Hinter dem etwas kryptisch anmutenden Titel verbirgt sich ein vom Vater ausgesprochenes Verbot gegenüber seinem zehnjährigen entwicklungsgestörten Sohn, runter auf die Straße zu gehen oder fern zu sehen. „Ich bin ein Hilfser, und mich brauchen sie im Westen auch nicht“, so das verzweifelte Resumee des Jungen, der zweifach eingesperrt in das Gefängnis in Form der väterlichen Restriktionen und in das Erleben seines von außen als abnorm wahrgenommenen Andersseins die ganze innere Zerrissenheit zwischen Wunsch, Sehnsucht und Wirklichkeit in eindringlichen Wortkaskaden buchstäblich nach außen kehrt. Der innere Monolog des literarischen Ichs, der einen unmittelbar hinein nimmt in eine Realität, in der die republikflüchtige Mutter zur Vaterlandsverräterin degradiert wird und sich das damalige Regime mit Volksaufmärschen und Militärparaden verherrlichen ließ, entfaltet nicht zuletzt dank der meisterlich eingesetzten Sprach- und Stilmittel des Textes eine Wirkung, die zutiefst betroffen macht. Eine Betroffenheit, durch die sich nicht wenige Gäste der Plenzdorf-Lesung immer wieder unwillkürlich zu einem Lachen hinreißen ließen. Geschuldet nicht allein der trocken-humorigen Vortragsweise Plenzdorfs, sondern auch einem ganz offenkundigen Bedürfnis, sich angesichts aufsteigender Bilder und Erinnerungen Erleichterung zu verschaffen ... Zur Diskussion, so interessant und angemessen sie in jedem Falle gewesen wäre, ist es indes nicht gekommen. Mit dem in die zweite Hälfte des Abends überleitenden Kommentar „Eine Diskussion erübrigt sich zu diesem Text“ bezog man seitens der Veranstalter (an dem Abend vertreten durch die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Außenstelle Potsdam) diesbezüglich ziemlich kategorisch Stellung. Die Möglichkeit eines individuellen Gespräches, das vom Konzept der Veranstaltungsreihe „Literatur und Politik“ mit dem Untertitel „Lesung und Gespräch“ her eigentlich vorgesehen und angekündigt ist, ergab sich im Anschluss an die immerhin zugestandene Fragerunde dann eher informell, als Ulrich Plenzdorf seine - mit Ausnahme des Lesungstextes - an dem Abend auch käuflich erwerbbaren Bücher signierte. Weitere Plenzdorf-Lektüre ist übrigens für diesen Herbst angekündigt. Dann nämlich wird erstmalig eine Zusammenstellung sämtlicher Liedtexte des renommierten Autors zu haben sein. Der Titel dieser retrospektiven Novität? „Ich sehn'' mich so nach Unterdrückung!“, wie Plenzdorf verschmitzt verlauten ließ.

Almut Andreae

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